: Stabilisator in der Quasselbude
Nachdem der Versuch eines Aufbruchs mit einem Vertreter der jungen Trainergeneration beim HSV gründlich schief gegangen ist, heiß es nun erst einmal: Ruhe und Stabilität in die Mannschaft bringen. Keine Experimente also, dafür ein Rückgriff auf bewährte Konzepte. Genau dafür steht die Verpflichtung des Niederländers Bert van Marwijk, der 2010 die niederländische Nationalmannschaft in Südafrika zur Vizeweltmeisterschaft führte.
Schon der erste Auftritt des HSV unter seiner Leitung nährt die Hoffnung, van Marwijk könne das von Sportchef Oliver Kreuzer beim Rauswurf von Thorsten Fink diagnostizierte „Wirrwarr“ im Spiel der Hamburger auflösen. „Er hat uns sehr, sehr gut eingestellt“, sagte Linksverteidiger Marcell Jansen, der kurz vor Schluss den Ausgleichstreffer zum 2:2 bei Eintracht Frankfurt erzielt hatte. „Wir waren kompakter, haben zurückgeschlagen und nicht vorher das dritte, vierte oder fünfte Gegentor gefressen.“
Um die verunsicherte Mannschaft wieder aufzurichten, muss van Marwijk vorläufig auf das von ihm favorisierte Offensivspiel verzichten und auf einfache Rezepte setzen, auch wenn er „die vielen langen Bälle gar nicht mag“. Aber beim HSV geht es im Moment weniger um ästhetische als um existenzielle Fragen – dafür scheint der elegante Niederländer der richtige Mann zu sein.
Als er 2004 von Feyernoord Rotterdam, mit dem er den UEFA-Pokal gewann, zu Borussia Dortmund wechselte, war der Ruhrpott-Klub in einer noch verheerenderen finanziellen Lage als der HSV heute. Dennoch erreichte er zweimal den 7. Platz und entwickelte Talente wie Nuri Sahin weiter. Ergebnisse, mit denen der HSV in seiner gegenwärtigen Situation auch zufrieden sein sollte. Aber dass beim HSV vieles anders läuft, musste van Marwijk noch vor seinem Amtsantritt erfahren. Als er schon dachte, sein Vertrag sei in trockenen Tüchern, wurde in Hamburg noch fast zwei Tage weiter über den neuen Trainer spekuliert, weil der Aufsichtsrat noch nicht das letzte Wort gesprochen hatte.
Andererseits passt das verbale Vorpreschen des Trainers, dem dann noch vor dem ersten Arbeitstag eine Ferndiagnose der Problemlagen folgte, nur zu gut in die Quasselbude HSV, über die Ex-Trainer Armin Veh sagte: „Alle haben nur Politik gemacht.“
Wie er sich von den machtpolitischen Auseinandersetzungen, die mindestens bis zur Mitgliederversammlung im Januar andauern werden, möglichst wenig irritieren lassen kann, sollte van Marwijk bei seinen Landsleuten Martin van Jol und Huub Stevens erfragen. Die gehören unter den 13 HSV-Trainer seit 2001 zu denen, die beim HSV in guter Erinnerung sind. RLO
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