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Generation Identitätssuche

GESCHICHTEN Durchschnittliche Rebellen in der WG-Küchentisch-Perspektive: Hanna Lemke hat ein Buch über junge Menschen geschrieben

VON LAURA EWERT

Da ist das Mädchen, das jeden Abend allein ausgeht, bis ihr jemand erzählt, in der Disco würde sie doch auch nicht das finden, was sie suche. Da ist der junge Mann, der Nacktfotos von Frauen macht, mit denen er dann ins Bett steigt, eine nach der anderen, die Nummern in seinem Moleskin-Notizbuch ordentlich abgestrichen, bis er eben mit dem Auto verunglückt; denn wer exzessiv sucht, so stellt Lemke sich das vor, der will einfach irgendwann nicht mehr leben. Und dann ist da noch ein WG-Pärchen, zwischen denen es eine amouröse Spannung gibt, die sich aber nicht entlädt, denn die beiden schauen sich immer nur über den Spiegel ins Gesicht.

Das sind drei von 18 kurzen Geschichten, die Hanna Lemke, geboren 1981 und ausgebildet am Leipziger Literaturinstitut, in ihrem ersten Buch „Gesichertes“ erzählt. Es ist ein leises Buch, das es schafft, Bilder zu zeichnen, kurze Handlungen zu skizzieren, die in sich funktionieren. Gut zu lesen also.

Die Autorin hat ein Auge für Kleinigkeiten. Das Abi-Foto, das immer aus höher gelegenen Klassenzimmern heraus fotografiert wird. Der Zahnputzschaum, der nach einem Barabend vom Rotwein verfärbt ins Waschbecken tropft. Weder aufdringlich noch gefühllos schreibt Lemke. Ganz getreu ihrer Lehrstelle. Hingeschaut und zugehört. Aufgeschrieben ohne zu viele oder zu wenige Wörter. Das Große im Nichts. So steht es da.

Lemke malt dabei mit jeder Geschichte an dem Bild einer von Entscheidungsschwächen und müden Identitätssuchen geprägten Generation. Angeblich will ja heute überhaupt niemand mehr erwachsen werden, und dieses Buch dient als deutliche Bestandsaufnahme dessen. Beschrieben wird das von der wahrscheinlich immer selben Protagonistin. So genau weiß man das aber nicht, denn am Ende des Buchs hat man weder einen Namen noch ein klares Bild der Erzähler-Frau. Aber das passt ja auch ganz gut zu diesen verwischten, unsicheren jungen Leuten, die sie beschreibt: Männer und Frauen, die keine Berufe haben, sondern „etwas machen“, die immer weiterziehen. Sie wiederholt die ewige Geschichte von der clubbenden, beziehungs- und entscheidungsunfähigen Generation. Aber gibt es diese ganze Generation überhaupt? Sind es nicht vielmehr die Eltern oder die Neon-Redaktion, die sich diese Eigenschaften für die Kinder ausgedacht haben und es irgendwann auch schafften, sie ihnen einzureden? Die minimale Aussicht auf Rebellion.

Da ist der Bruder, der immer etwas Neues anfängt: Freundschaften, Ausbildungen. Da ist die alte Schulbekannte, die sich am Rande der Tanzfläche von fremden Typen unter den Pulli fassen lässt und dabei provozierend in das Gesicht der Protagonistin schaut. Hier wird das klassische Studentenstadtmilieu beschrieben, das schon in vielen Debüts aus den verschiedenen WG-Küchentisch-Sichten beleuchtet wurde. Die Geschichten gut behüteter Bildungsbürgerkinder, denen das Wissen über den krassesten Undergroundclub weniger wichtig ist, als den richtigen Sport ausgesucht oder das richtige Praktikum absolviert zu haben. Natürlich geht man aber trotzdem feiern.

„Auch das war bloß ein Weg zu denken, und wie alle anderen führte er mich nirgendwohin“, lässt Lemke die Erzählerin sagen, die gerade eine schmerzhafte Trennung durchlebt und sich sicher ist, dass der Ex sie noch liebt. Und man fragt sich, ob die Autorin denn nicht um den furchtbaren, bodenlosen, verrückt machenden Schmerz der Liebe weiß, aus dem sie gebrochenere Momente entwickeln könnte. Selbst Trennungen sind bei Lemke merkwürdig diszipliniert.

Viele ihrer Geschichten wirken wie aus dem Drehbuch einer anspruchsvolleren Vorabendserie, und bei der Beschreibung der Altersgenossen nutzt sie die vorgefertigten Schablonen des Ausbruchs. Man kennt all die hier hübsch arrangierten Situationen, auch wenn man sich nicht eingestehen möchte, dass man natürlich selbst auch nur Alltägliches erlebt. Denn das wäre wie Jack Johnson hören. Eine öffentlich-rechtliche Bravheit, die man von Literaten doch eigentlich durchbrochen sehen möchte.

Feminismus ist bei Lemke noch, sich alle Körperhaare abzurasieren, Geschlechtlichkeiten auf Plakatwerbungen zu überkleben oder Männern in der Kneipe zu sagen, dass sie bitte nicht baggern sollen. Ein Bruch in der Identität ist hier, herauszubekommen, dass die Mutter in der Jugend eine lesbische Beziehung hatte. Rebellisch in ihrer Welt ist es scheinbar schon, das Studium nicht abzuschließen oder die Exfreundin des Freundes ernsthaft nicht zu mögen. So groß sind diese Probleme also nicht. Man kann diesem Milieu nur gratulieren. Und das ohne Neid oder Abschätzigkeiten.

Warum allerdings Hanna Lemke sich bei der Betrachtung ihres Umfelds längst abgehandelte Schemata auferlegt, die mit jeder Geschichte mehr zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung von einer unbestimmten Identität werden, bleibt unklar. Einmal schreibt Lemke von Gedanken, die in Sackgassen stecken. Aber bleiben Gedanken jemals stehen? Dass die Autorin zu selten versucht, das zu erforschen und sich in dieser Sackgasse genauer umzuschauen, macht das Buch letztlich zum Ärgernis.

■  Hanna Lemke: „Gesichertes“. Kunstmann Verlag, München 2010, 192 Seiten, 17,90 Euro

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