: In der geistigen Welt
Vor einem Jahr wurde Benedikt XVI. zum Papst gewählt. Das Jahr hat deutlich gemacht: Unter seiner Führung droht die katholische Kirche, in selbstgefällige Sattheit zu verfallen
Als Joseph Kardinal Ratzinger vor einem Jahr nach einem kurzen Konklave als Benedikt XVI. vor die Menge auf dem Petersplatz in Rom trat, war dies eine Überraschung. Nicht nur, weil gegen jede Erwartung ein Deutscher Papst wurde, was gerade nach einem Polen als unwahrscheinlich galt. Die eigentliche Überraschung aber war, dass sich damit der Frontmann eines bestimmten kirchenpolitischen Flügels so klar und schnell durchsetzen konnte – auch in der Kirche sind es schließlich oft die Kompromisskandidaten, die das Rennen machen. Aber Ratzinger hatte mit seiner Rede zum Beginn des Konklaves, in der er vor der „Diktatur des Relativismus“ warnte, einen entscheidenden Akzent gesetzt, mit dem er die Wahl fast automatisch für sich entschied. Und dieses Stichwort ist es auch, das sein bisheriges Pontifikat und seine weltweite Bedeutung erklärt.
Mit Benedikt XVI. und seinem Anspruch, im Besitz einer absoluten Wahrheit zu sein, an der es nichts zu relativieren gibt, erhob sich eine konservative Stimme von Format, nach der offenbar ein starkes Bedürfnis herrschte. Sein Vorgänger, Johannes Paul II., hatte weniger durch theologischen Geist geglänzt als durch seine charismatische Persönlichkeit, in der sich die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts spiegelten. Es waren eher seine Gesten als seine Worte, die die Menschen weltweit bewegten. Ganz anders dagegen Benedikt XVI., dem öffentliche Auftritte schwer fallen und der lieber durch seine Worte und Gedanken wirken will. Darin findet der deutsche Professor auch Anklang – obwohl er bisher so viel noch gar nicht gesagt hat.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Benedikt XVI. die Amtszeit von Johannes Paul II. als Präfekt der Glaubenskongregation in theologischer Hinsicht zum großen Teil selbst geprägt hat. Würde er wesentlich andere Akzente setzen als Wojtyła, widerspräche er sich in gewisser Weise selbst. Und ganz offen widersprechen sich Päpste ja sowie nie.
Exemplarisch für diesen Papst war seine erste und bisher einzige Enzyklika. Ratzingers Lehrschreiben war mit seinem Thema „Liebe“ und seinem passagenweise schwärmerischen Ton originell, fast cool, denn das hätte man bei diesem trockenem Mann nun nicht unbedingt erwartet. Auch theologisch und stilistisch war die Schrift ansprechend – politisch aber oder wenigstens gesellschaftspolitisch relevant war sie nicht. Hier zeichnet sich wahrscheinlich eine Konstante seines Pontifikats ab: Anders als vor Erklimmung des Papstthrons zu erwarten, wird sich Benedikt wohl weniger in die Politik, geschweige denn in die Tagespolitik einmischen als sein Vorgänger, der – wie etwa mit seinem Einsatz für die Solidarność in Polen – ein hoch politischer Mensch war. Das ist umso erstaunlicher, als es gerade Ratzinger war, der als oberster Glaubenshüter im Namen von Johannes Paul II. in den Achtzigerjahren – nicht zuletzt aus politischen Gründen – die Theologie der Befreiung zu den Akten legen ließ.
Seit Jahren bemängeln prominente Theologen, dass es an päpstlichen Enzykliken zu brennenden Themen der Zeit wie „Islam“ oder „Kampf der Kulturen“, „Globalisierung“ oder „Umweltschutz“ mangelt. Doch Benedikt XVI. widmete sich lieber einer Hymne auf Caritas und Eros. Der neue Papst scheint sich auf die Welt des Geistes, des Intellekts und der Glaubens, genauer: der Theologie beschränken zu wollen. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade Intellektuelle wie etwa Jürgen Habermas, Alain Finkielkraut oder sogar Hans Küng (!), dem er die längste Privataudienz seiner bisherigen Amtszeit gewährte, am meisten mit ihm anzufangen wissen, in Zustimmung oder Dissens. Es vermag offenbar regelrecht Spaß zu machen, sich mit Ratzinger intellektuell auseinander zu setzen – gerade weil er im geistigen Gespräch erstaunlich offen wirkt, eine so klare konservative Position hat und diese auch noch gut verteidigen kann. Die Postmoderne ist für ihn eine Sache von gestern. Von wegen „anything goes“ oder Dekonstruktivismus: Nein, es gibt nur eine ewige Wahrheit! Oder, im O-Ton aus seiner Predigt vor dem Konklave: „Es wird oft als Fundamentalismus bezeichnet, wenn man einen klaren Glauben auf den Grundlagen der Kirche vertritt, während der Relativismus, also das Hin- und Hertreiben in jedwedem Wind der Doktrinen, als einzige Haltung dargestellt wird, die heute Gültigkeit hat.“
Wo sich Johannes Paul II. im Kampf gegen Kommunismus und Kapitalismus aufrieb und Gesprächspartner von Reagan über Clinton bis Gorbatschow und Castro war, ist Ähnliches von Benedikt XVI. nicht zu erwarten: Was sind schon Kommunismus und Kapitalismus, ja Politik an sich sub specie aeternitatis? Außerdem, so kann man das Denken Ratzingers etwas überspitzt zusammenfassen, steht doch alles Wesentliche ohnehin schon in der Bibel.
Die Kirche selbst verfällt angesichts dieses Denkens an ihrer Spitze langsam in einen vorkonziliären Dornröschenschlaf, entrückt der Sphäre des Weltlichen. Dies ist auch eine Abkehr vom Zweiten Vatikanischen Konzil, das ja die Kirche wieder mitten ins moderne Leben hineinstellte. Kein Wunder ist es da, dass unter der Hand der konservative innerkirchliche Kurs von Johannes Paul II. weiterläuft. Das ist zu besichtigen in der Ökumene, die Benedikt XVI. zwar verbal noch beschwört, de facto aber verrät, indem er die protestantischen Kirche weiter im Sinne der verheerenden „Dominus Iesus“-Enzyklika als bessere Christenclubs abkanzelt. Auch die skandalöse Entmachtung der Laien im Bistum Regensburg wäre ohne Rückendeckung aus Rom nicht denkbar. Die katholische Kirche scheint damit in satte Selbstzufriedenheit zurückzufallen. Und dank Benedikt XVI. kann sie sich eins fühlen mit dem konservativen Zeitgeist, bei dem Hohn über Multikulti, die Chiffre „1968“ und „falsche“ Toleranz schon fast zum guten Ton gehört. Das ist die eigentliche Pointe: dass gerade Benedikt XVI., der stets betont, mit seiner Kirche über dem Zeitgeist zu stehen, diesem derzeit so sehr entspricht.
Die Kirchenleitung ist berauscht von den Millionen, die zur Papstbeerdigung vor einem Jahr nach Rom oder zum Weltjugendtag im vergangenen Sommer nach Köln pilgerten – als hätte man diese Massen wirklich hinter sich, als jubelten sie tatsächlich diesem alten, selbstzufriedenen, selbstgefälligen Programm zu. In Vergessenheit gerät dabei, dass die Strukturprobleme der Kirche, die Johannes Paul II. hinterlassen hat, nach wie vor ungelöst sind. Vor allem der Priestermangel im Norden des Globus oder die lange angemahnte Verwaltungsreform in Rom zählen dazu.
Bisher aber scheint Benedikt XVI. der Mut zu fehlen, diese Probleme beherzt anzupacken. Er mag der größte Theologe auf dem Papstthron seit dem Kirchenvater Gregor dem Großen (= 604 n. Chr.) sein, wie einige schwärmen. Ein politischer Papst wie dieser aber wird er aller Voraussicht nach nicht werden. Und wenn Benedikt XVI. sich weiter hinter seinen Büchern und in seiner geistigen Welt vergräbt wie bisher, dann wird er auch nur ein Übergangspapst bleiben. PHILIPP GESSLER
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