: Samba statt Maloche am Band
„Fünf Prozent mehr, das ist fair“: Die IG Metall will die Arbeitgeber endlich zu Zugeständnissen im Tarifkonflikt bewegen und ließ deswegen die gestrige Spätschicht bei DaimlerChrysler ausfallen
Von Henning Bleyl
Fließbänder sind praktisch: Nicht nur die Produktion geht schnell, auch Streiks weiten sich mit unweigerlicher Geschwindigkeit aus. Entsprechend durchschlagend war gestern der Erfolg der IG Metall im Bremer DaimlerChrysler-Werk: Statt Spätschicht gab es einen Protestmarsch zur Berliner Freiheit.
Hintergrund ist der bundesweite Tarifkonflikt in der Metall- und Elektrobranche. Die Arbeitgeber bieten 1,2 Prozent Lohnsteigerung sowie prozentuale Einmalzahlungen, abhängig von wirtschaftlichem Erfolg und jeweiligem Jahreseinkommen. Die Gewerkschaft hingegen hat sich den Slogan „Fünf Prozent mehr, das ist fair“ auf die Transparente geschrieben. Die circa 2.500 Bremer DemonstrantInnen unterbrachen ihre Demonstration immer wieder zur Abhaltung von „Steinkühler“-Pausen. Mit dem Namen des früheren IG Metall-Chefs verbindet sich die Errungenschaft der fünfminütigen „Erholzeitpause“, die einem Bandarbeiter pro Stunde zur Verfügung steht, zuzüglich drei Minuten „persönlicher Verteilzeit“. Diese legalisierte Form der Pinkel- beziehungsweise Zigarettenpause steht seitens der Arbeitgeber ebenfalls zur Disposition. „Das ist aber kein Luxus“, sagt ein Daimler-Arbeiter. Schließlich liege die Taktzeit oft bei gerade mal anderthalb Minuten. In 90 Sekunden also muss der komplette Arbeitsschritt, für den ein Einzelner am Band zuständig ist, erledigt sein. Macht 40 Mal pro Stunde dieselben fünf Handgriffe – da sind acht Minuten Abwechslung wohl auch eine psychologische Notwendigkeit.
Gestern konnten sich die Monteure immerhin bei Sonne und Samba ihrer Forderungen versichern. Erstmals hatte die Gewerkschaft für brasilianische Klänge gesorgt und auf die bislang üblichen Schläge gegen ein 200-Liter-Fass verzichtet. Die Musik-Leiharbeiter kamen gut an, auch wenn die Gesamtstimmung spürbar aufgeheizt war. Für Ärger sorgte der Rückzieher der Arbeitgeber in NordrheinWestfalen, die entgegen anders lautender Ankündigungen kein neues Angebot vorgelegt hatten. Die Antwort in Bremen: „Jetzt rappelt’s an der Küste.“
Die Demo-TeilnehmerInnen verzichten dafür immerhin auf ihren Schichtlohn: Bei Warnstreiks bleibt die Gewerkschaftskasse, die sonst bis zu zwei Drittel des Lohnausfalls übernimmt, geschlossen. Da die tarifliche Friedenspflicht aber schon Ende März abgelaufen ist, müsse niemand wegen seiner Arbeitsniederlegung einen Aktenvermerk fürchten, versicherte ein DaimlerChrysler-Vertrauensmann.
Auch andernorts in Bremen gab es gestern Warnstreiks. „Mit dem gemeinsamen Demonstrieren ist es in Bremen aber immer schwierig“, wie IG Metall-Funktionär Dieter Reinken klagt: Die entsprechenden Betriebe lägen einfach zu weit auseinander.
In der Tat verteilten sich die gestrigen Aktionstage in alle Himmelsrichtungen. Im Süden forderten knapp 1.000 Airbus-Beschäftigte, ein Drittel der Gesamtbelegschaft, ihren Anteil am Umsatz der boomenden Luftfahrtindustrie, bei Krause in Bremen-Nord zogen die Beschäftigten ebenfalls vors Werktor.
Der Arbeitgeberverband „Metall Unterweser“ beklagt derweil die „unnötige Schwächung von Unternehmen und Arbeitsplätzen“ durch derartige Aktionen. Die IG Metall solle ihre „bei den Warnstreiks demonstrierte Beweglichkeit“ lieber bei den heute in Hamburg stattfindenden Verhandlungen für den Gesamtbezirk Küste beweisen.
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