piwik no script img

„Ich mach Schluss, wenn die Gäste voll sind“

RAUSCH Im „Silbersack“ auf Sankt Pauli treffen sich Leute aus allen Schichten. Seit 60 Jahren gibt’s die Kneipe. Dominik Großefeld, der neue Wirt, schenkt seinen Gästen gern Alkohol aus – und bleibt selber nüchtern

Dominik Großefeld

■ Der Wirt ist 29 Jahre alt. Für Erna, die einstige Wirtin des „Silbersacks“, hat er 2010 seine Bar im Ruhrgebiet aufgegeben. Er wollte von ihr lernen. Nach dem Tod von Erna hat er 2012 den „Silbersack“ übernommen. Er arbeitet sieben Tage die Woche und wohnt im Haus, in dem auch seine Kneipe ist.

INTERVIEW KATHARINA GIPP

sonntaz: Ihre Bar „Zum Silbersack“ öffnet um 15 Uhr. Wer kommt als Erstes durch die Tür?

Dominik Großefeld: Anwohner. Gerade im Wochengeschäft besteht unsere Klientel hauptsächlich aus Anwohnern oder aus Menschen, die gerade von der Arbeit kommen und hier ihr Feierabendbier trinken. Am Wochenende ändert sich das Bild. Dann ist der Tourismus auf St. Pauli auch schon zur Mittagszeit schwer im Gange.

Haben Sie Lieblingsgäste?

Es gibt Tage, an denen ist mir ein ruhiger, alter Seebär, dessen Marotten ich gut kenne, der Angenehmste. Zu wild ist gar nicht meins. Letztlich kommt es auf die Mischung an.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihren Gästen?

Zu meinen Stammgästen habe ich ein familiäres Verhältnis. Von denen weiß ich mehr als nur den Namen. Alkohol lockert die Gemüter. Es fällt vielen leichter, über Dinge zu reden, die sie bewegen. Bei Gästen von außerhalb ist das anders. Die wollen meist nur wissen, ob St. Pauli wirklich so gefährlich ist, wie alle sagen.

Welche Antwort würden Sie mir geben?

Ich würde Ihnen sagen, dass St. Pauli gar nicht so schlimm ist, wie es die Medien immer darstellen. Es ist ein Stadtteil mit Lebemann-Mentalität. Wo viele Menschen sich tummeln, passiert auch viel. Aber es gibt die allgegenwärtige Davidwache, Nachbarn, die sich umeinander kümmern. Ich denke, hier lässt es sich leichter leben als in so manchem Dorf.

Was wäre die andere Antwortmöglichkeit?

Ich sage den Leuten, dass sie vorsichtig sein sollen. Gerade bei der männlichen Jugend von außerhalb habe ich oft das Gefühl, dass sie ihren Testosteronhaushalt nicht richtig im Griff haben und sich beweisen müssen. Oft werde ich gefragt: „Was ist dein härtester Schnaps?“ Dann sage ich nur: „Das willst du gar nicht trinken, schmeckt nicht.“ Warum soll er sich einen 44-prozentigen Hansen Rum reinhauen, damit der Abend um zwei Uhr zu Ende ist.

„Zum Silbersack“ wurde vor mehr als 60 Jahren eröffnet. Wann wurden Sie Teil der Geschichte dieser Kneipe?

Ich bin 2010 dazugestoßen. Vorher hatte ich ein eigenes Lokal im Ruhrgebiet, doch dann habe ich beschlossen, meine Selbstständigkeit aufzugeben, um für Erna, die Wirtin des „Silbersacks“, zu arbeiten. Sie hat 1949 mit der Kneipe angefangen, hat die 50er mit den Seemännern durchgemacht und auch die 80er und 90er überstanden, als es auf St. Pauli ein bisschen rauer wurde. Ich brauchte ihren Input – hätte noch zehn Jahre mehr Input vertragen können. Doch dann ist Erna gestorben, und ich habe den Laden übernommen.

Sie sind 29. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Wirt zu werden?

Schon als kleiner Junge bin ich mit meinem Opa in die Kneipe gegangen, ich trank Vitamalz, er Bier. Seit ich 14 bin, habe ich mein Geld immer in der Gastronomie verdient. Meine öde Lehre beim Steuerberater habe ich nur gemacht, weil ich wusste, dass ich es später gebrauchen könnte.

Was macht für Sie den Zauber einer Kneipe aus?

Für mich gibt es nichts Schöneres, als den Abend mit Freunden zu verbringen und unter Menschen zu gehen. Genauso liebe ich es, hinterm Tresen zu stehen und Menschen einen Ort zu geben, an dem sie sich auszutauschen und neue Menschen kennenlernen können. Ob nun im tiefsten Suff oder nüchtern, Hauptsache, man redet. Besonders freue ich mich, wenn Gespräche zwischen Typen entstehen, die sich außerhalb meiner Bar wahrscheinlich nicht einmal angeguckt hätten. Die Institution Kneipe ist gesellschaftlich ganz wichtig. Leider verkannt mittlerweile – und von der Politik viel zu wenig gefördert.

In Hamburg darf in öffentlichen Verkehrsmitteln kein Alkohol mehr konsumiert werden.

Ein generelles Verbot halte ich für ein wenig überstürzt. Aber der Mensch braucht Erziehung. Ihm müssen immer seine Grenzen aufgewiesen werden. Das schadet ihm nicht. Da wächst er im besten Fall dran. Ich bin kein Freund von Anarchie.

Und doch ist der „Silbersack“ eine anarchische Raucherkneipe.

Eigentlich bin ich Fan von Nichtraucherkneipen. Ich habe einen Säugling und kann so mit meinen Kumpels, die auch alle kleine Kinder haben, zum Fußballgucken in die Kneipe gehen und die Kleinen mitnehmen. Und doch finde ich, dass einem Wirt manche Entscheidungen selbst überlassen bleiben sollten. Das gilt fürs Rauchen, aber auch für die Schließzeiten. Ich mach Feierabend, wenn die Gäste voller sind als der Laden. Ich trage die Verantwortung für das, was passiert. Ich entscheide, wann das Maß bei einem Gast erreicht ist. Da schreibt das Gesetz nichts vor, ich aber sehr wohl. Wenn ich merke, dass jemand zu voll ist, dann schicke ich ihn nach Hause. Ich kann es am besten entscheiden. Ich bin nüchtern, ich steh hinter dem Tresen.

Welches Verhältnis haben Sie selbst zum Alkohol?

Auch wenn ich mit dem Verkauf von Alkohol meinen Lebensunterhalt verdiene, habe ich das Materielle nicht immer vor Augen. Ich finde es interessant und schön, was Alkohol in den Menschen auslösen kann. Und ich glaube, dass sie Alkohol brauchen. Gerade heute, wo alles schnelllebiger geworden und man immer erreichbar ist, ist Alkohol wichtig für die Gesellschaft, um abzuschalten. Das Maß ist das, was entscheidet.

Brauchen Sie auch Alkohol, um abzuschalten?

Entweder bist du als Wirt dein bester Kunde oder du trinkst gar nicht. Mein Alkoholkonsum hat irgendwann stagniert. Wenn es auch ein bisschen traurig ist, so trinke ich heute eigentlich gar keinen Alkohol mehr. Auch meinen Mitarbeitern erlaube ich keinen Alkohol während der Arbeit. Ich finde es unangenehm, wenn ich in einen Laden reinkomme, wo einer hinterm Tresen steht, der nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist.

Gibt es Situationen, in denen Sie Alkohol verbieten möchten?

Für mich ist es ein Unding, dass Jugendliche unbehelligt und unkontrolliert draußen auf der Straße Alkohol trinken dürfen. Das siehst du das ganze Wochenende auf St. Pauli. Das führt zu den meisten Reibungen. Ich wäre für eine feste Schließzeit oder ein Alkoholverkaufsverbot für Kioske. Das Verhalten volltrunkener Jugendlicher, die ohne Maß auf der Straße Alkohol konsumieren, ist absolut inakzeptabel und hat nichts mit Kultur zu tun. Das ist Saufen zur Verblödung.

Was ist für Sie die Hochkultur des Alkoholkonsums?

Das ist das, was meine alten Stammgäste praktizieren, die länger hier verkehren, als ich hier arbeite und als ich lebe. Sie kommen um 20 Uhr und bleiben, bis ich Feierabend mache. In der ganzen Zeit trinken sie geschmeidig sechs oder sieben Bier und besuchen die Kneipe der Gesellschaft und nicht des Konsums wegen. Der Psychologe würde wahrscheinlich trotzdem von Alkoholismus sprechen. Ich denke aber, das lässt sich nicht so einfach sagen. Es ist kein zwanghaftes Trinken, sondern die Sucht ist eher die Suche nach Gesellschaft. Der Alkoholkonsum ist ein Nebenspiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen