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Bilder wie aus einem Horrorfilm

LAMPEDUSA Rettungskräfte befürchten bis zu 350 Tote beim Untergang des Flüchtlingsschiffs. Italiens Innenminister fordert Änderung des EU-Asylrechts. EU-Kommissarin will mehr Plätze für Menschen in Not

VON CHRISTIAN JAKOB

BERLIN taz | Bei dem Brand auf einem Flüchtlingsschiff vor der Mittelmeerinsel Lampedusa sind möglicherweise bis zu 350 Menschen gestorben. „Wir haben keine Hoffnung mehr, Überlebende zu finden“, sagte ein Mitglied der für die Bergung des Wracks zuständigen italienischen Finanzpolizei am Freitagvormittag. Bis dahin hatten die Rettungskräfte 155 Menschen gerettet und 111 Leichen an Land gebracht. Das Boot war mit 450 bis 500 Menschen besetzt. Die übrigen Opfer konnten noch nicht geborgen werden. „Es ist wie in einem Horrorfilm, da unten ist eine Masse von eingeklemmten Körpern, einer über dem anderen im Laderaum“, sagte der Taucher Rocco Canell.

Das von der libyschen Hafenstadt Misrata kommende Schiff war am Donnerstag gegen vier Uhr morgens nur einen Kilometer vor der Küste Lampedusas in Seenot geraten. Überlebende berichteten, dass Fischerboote vorbeifuhren, aber nicht anhielten. Die überwiegend aus Somalia und Eritrea stammenden Flüchtlinge entzündeten eine Decke, um so Hilfe herbeizuwinken. Das Schiff fing daraufhin Feuer. Einige Insassen sprangen ins Wasser, andere gingen mit dem Schiff unter. Das Wrack liegt in 40 Metern Tiefe rund 550 Meter vor der Küste. Der mutmaßliche Kapitän, ein 35-jähriger Tunesier, wurde festgenommen

„Es ist die größte Flüchtlingstragödie in der Geschichte Lampedusas und der Festung Europa“, sagte Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, die seit den 1990er Jahren die europäische Grenzpolitik beobachtet.

Für Freitag hatte Italien einen Tag der Staatstrauer ausgerufen. Auf Lampedusa blieben die Geschäfte geschlossen.

„Heute ist ein Tag des Weinens“, sagte Papst Franziskus.

„Es ist etwas Grundlegendes verkehrt, wenn Menschen auf der Suche nach Schutz diese gefährlichen Reisen auf sich nehmen müssen“, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres.

Italienische Politiker forderten Änderungen des europäischen Asylrechts. „Wir werden laut unsere Stimme in Europa erheben, um die Regeln zu ändern, die die ganze Last der illegalen Einwanderung auf die Länder des ersten Eintritts abwälzen“, sagte Italiens Innenminister und Vizeregierungschef Angelino Alfano am Freitag. Das geltende EU-Recht sieht vor, dass die Staaten an den Außengrenzen die alleinige Verantwortung für die Flüchtlinge tragen, die dort nach Europa einreisen – also fast alle.

Die EU-Innenkommissarin Malmström sagte, Europa müsse sich stärker bemühen, solche Katastrophen zu verhindern. Sie forderte die Mitgliedstaaten auf, mehr Kontingentplätze für die Umsiedlung von Menschen in Not, das sogenannte Resettlement, bereitzustellen. „Dies würde dazu beitragen, dass weniger Menschen ihr Leben in Gefahr bringen müssen, um die europäischen Küsten zu erreichen.“ Die EU stellte zuletzt rund 5.000 Plätze pro Jahr. Das ist nur nur rund ein Zehntel der weltweiten Resettlement-Plätze – und weit weniger, als die USA oder Kanada anbieten.

Bundespräsident Joachim Gauck appellierte an die EU, Flüchtlingen Schutz angedeihen zu lassen. „Wegzuschauen, sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte.“

Elias Bierdel, Gründungsmitglied der Organisation Borderline Europe, machte eine „völlig verfehlte europäische Politik“ für die Katastrophe verantwortlich. Die habe das Ziel, Boote aus Afrika abzuwehren, statt Menschen zu retten.

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