: Ausbeutung auf höchstem Niveau
An der Universität Hamburg forschen arbeitslose Soziologen für einen Euro die Stunde. Selbst der Dekan ist alarmiert, weil er schleichende Verdrängung fester Stellen durch die Ein-Euro-Jobs befürchtet. Jetzt prüft die Wirtschaftsbehörde
Der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern wird in immer mehr Arbeitsbereiche ausgedehnt: Gut ein Jahr nach der gesetzlichen Einführung der Beschäftigungsmaßnahme werden die Billigjobber nun schon für Forschungstätigkeiten an Hochschulen beschäftigt. So geschehen an der klammen Uni Hamburg. Während Studenten und Professoren vor der Verdrängung fester Stellen warnen, sieht die Leitung keinen Grund zur Sorge. „Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein Problem von gering qualifizierten Menschen“, rechtfertigte sich gestern Präsident Jürgen Lüthje, „sondern trifft Menschen aller Qualifikationsstufen.“
Insgesamt sind an der Hamburger Uni 103 Arbeitslose für einen Euro die Stunde im Einsatz, zwölf von ihnen als Wissenschaftler in verschiedenen Forschungsprojekten. Sie arbeiten 30 Stunden die Woche und erhalten dafür im Monat 210 Euro zusätzlich zum Hartz-IV-Geld.
Die Schaffung der ohnehin umstrittenen Ein-Euro-Jobs im Wissenschaftsbereich ist besonders heikel. Dort lassen sich die Kriterien, die das Gesetz vorgibt, leicht verwischen. Die Tätigkeit muss gemeinnützig und zusätzlich sein – sie darf die Jobs von Festangestellten nicht tangieren.
„Da im Grunde jedes Forschungsprojekt zusätzlich ist, weil es vorher nicht gemacht wurde, ist im Wissenschaftsbereich Missbrauch Tür und Tor geöffnet“, warnt Personalrätin Ulrike Seiler. Es bestehe die Gefahr, dass durch die Billigkräfte studentische Hilfskräfte und andere Angestellte des so genannten Mittelbaus verdrängt würden.
Zwar wiegelte der CDU-Senat auf Nachfrage der Grünen nach der Zusätzlichkeit zunächst mit dem Hinweis ab, die Einhaltung der Kriterien werde durch die Träger und die Uni „gewährleistet“. Nach einer Beschwerde über die Ein-Euro-Forschung an die aufsichtsführende Wirtschaftsbehörde prüft diese nun aber alle zwölf Fälle. Auch der Personalrat ist aufgefordert, zu ermitteln, was die Jobber konkret tun.
Zwei von ihnen beschäftigen sich in einem Drittmittelprojekt am Institut für kriminologische Sozialforschung mit dem Thema Lebensmittelsicherheit. Bela Rogalla, Studentenvertreter im Akademischen Senat, ist sich sicher, „dass die Ein-Euro-Jobs studentische und wissenschaftliche Arbeitsplätze ersetzen“. So sei das Institut in den vergangenen Jahren einem „rigiden Stellenabbau“ unterzogen worden. Heute gibt es noch eine Professur und eine Mitarbeiterstelle.
„Wir würden auf keinen Fall einen solchen Job an einer Stelle akzeptieren, wo Dauer- und Pflichtaufgaben erfüllt werden“, beruhigt indes Dekan Wolfgang Weber. Er betont, dass die Arbeitslosen in seinem Bereich aus eigenem Antrieb ihre Dienste offeriert hätten. In das mit Geld aus Berlin finanzierte Projekt seien sie nicht miteingerechnet. Dennoch, räumt Weber ein, halte er selbst die Jobs für „nicht unproblematisch. Mit solchen Tätigkeiten wird die schwierige Arbeitsmarktlage ausgenutzt.“
Um die Gefahr „einer schleichenden Ausweitung“ der Ein-Euro-Jobs zu verhindern, so der Dekan, „und die Vermischung mit Pflichtaufgaben“, wolle seine Fakultät jetzt „Kontrollinstrumente“ entwickeln. Eva Weikert
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