piwik no script img

BARBARA BOLLWAHN LEUCHTEN DER MENSCHHEITBesondere Strenge und Hierarchie

Satte 492 Seiten hat das Buch über den Militärstrafvollzug in der DDR. „Ab nach Schwedt!“ (Ch. Links Verlag 2013) erzählt die Geschichte des berüchtigten „Armeeknasts“ in Schwedt an der Oder, in den vor allem Mannschaftssoldaten und Unteroffiziere kamen, die Befehle verweigerten, sich unerlaubt von der Truppe entfernten oder Fahnenflucht begingen. Während früher kaum etwas darüber an die Öffentlichkeit drang, gibt der Autor Rüdiger Wenzke einen ersten militärhistorischen Überblick über die 1968 geschaffene und 1990 aufgelöste zentrale Militärstrafvollzugsanstalt. Wenzke, Jahrgang 1955, hat in der DDR Geschichte studiert und ist jetzt Wissenschaftlicher Direktor am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam.

„Zwiespältig“ nennt Wenzke das Bild über Schwedt bis heute. Die Forschungen hätten weder „Sklavenarbeit“ noch Folter oder eine hohe Selbstmordrate ergeben. Andererseits habe in Schwedt „eine besondere Strenge und Hierarchie“ geherrscht. Schwedt war seit dem Ende der 1960er Jahre nicht nur das einzige Militärgefängnis in der DDR, sondern die Militärstrafgefangenen blieben auch während ihrer Haftzeit Militärangehörige. Nach der Strafverbüßung kehrten sie in die Truppe zurück und mussten nachdienen. Dass das Wissen über den DDR-Militärstrafvollzug „äußerst lückenhaft“ ist, liegt an der „unbefriedigenden Materiallage“, vieles gilt als verschollen oder wurde vernichtet, ehemalige Offiziere und selbst frühere Insassen schweigen. So ist nicht bekannt, wie viele Militärstrafgefangene es insgesamt gab. Nach einer „groben Hochrechnung“ kommt der Autor auf 3.000 bis 3.500 Armeeangehörige und schlussfolgert eine Gesamtzahl von möglicherweise 5.000 bis 6.000.

Das Buch beschreibt die Grundlagen und Normen „der sozialistischen Gesetzlichkeit“ im ostdeutschen Militär und den „Rechtspflegeorganen“ der NVA, das Haftregime und den Gefängnisalltag. Der Autor zieht ein ernüchterndes Fazit: „Es scheint tatsächlich so, als ob der in der DDR systematisch auf- und ausgebaute Mythos über das Militärgefängnis in Schwedt als Ort des Schreckens bis heute weiterlebt.“

Die Autorin ist freie Journalistin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen