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Die Ablösung

Auch Väter sollen erziehen. Der Familienbericht fordert eine gleichberechtigte Rollenverteilung

VON HEIDE OESTREICH

Welche Politik brauchen Familien heute? Während einige Männer aus den Unionsparteien noch die Versorgerehe retten wollen, hat sich die CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen der Erkenntnis geöffnet, dass der Versorger de facto ein Auslaufmodell ist und deshalb beide Eltern möglichst lange erwerbstätig sein sollten.

Gestern lieferte die Wissenschaft ihr eine gewichtige Argumentationshilfe: Nach längerer Abstimmungsphase ist nun der siebte Familienbericht veröffentlicht worden. Die Kommission unter der Leitung des Familiensoziologen Hans Bertram unterstützt darin den Umbau der Familienpolitik, wie von der Leyen ihn anstrebt.

Die Kommission begreift Kinder nicht als Privatangelegenheit, sondern als öffentliches Gut, sie sind das „Humanvermögen“ der zukünftigen Gesellschaft, und das wird knapp. Um seine Herstellung zu sichern, muss der Staat in Familien investieren. Er muss den Eltern ermöglichen, weiterhin das immer knapper werdende Gut Kinder zu produzieren.

Das aber funktioniert heute mit der klassischen Rollenteilung nicht mehr. Immer weniger Männer finden auf dem heutigen Arbeitsmarkt eine stetige, gut bezahlte Stelle. Die Frauen hingegen sind für den Kinderjob nicht nur überqualifiziert und unterbezahlt. Sie können sich auch nicht mehr darauf verlassen, dass der Versorger sie in dieser Zeit versorgt. Wird er entlassen, ist die Familie, in der die Frau höchstens halbtags jobbte, auf Hartz IV angewiesen. Kühl fasst der Bericht zusammen: „Zwischen der klassischen Rollenteilung und der sich entwickelnden ökonomischen Struktur kann keine Balance mehr bestehen. Im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik muss aber eine neue Balance gefunden werden.“ Die WissenschaftlerInnen machen deutlich, dass die Frage, wer wann Geld und Zeit zur Verfügung stellt, „immer wieder neu in Aushandlungsprozessen“ ausgestaltet werden muss. Der Staat kann diese Aushandlungsprozesse ermöglichen. Die drei Elemente dafür lauten: Geldleistungen, Zeitpolitik und Infrastruktur.

Neben einer Familienkasse, in der Leistungen für Familien gebündelt werden, wirbt der Bericht für das Elterngeld, weil es den Verbleib der Mütter im Erwerbsleben fördert. Da es 67 Prozent des vorherigen Einkommens ausmacht, ist es auch für Väter interessant, kommt also dem Aushandlungsprozess entgegen. Und die Begrenzung der Bezugsdauer auf ein Jahr ist ein Anreiz, tatsächlich wieder ins Erwerbsleben einzusteigen und sich nicht langfristig vom Partner oder der Sozialhilfe abhängig zu machen. Soziologe Bertram machte bei der Vorstellung des Berichts deutlich, dass er die umstrittenen Vatermonate befürwortet: „Ein Kind hat laut Grundgesetz Anspruch auf Erziehung durch Mutter und Vater. Beide Eltern müssen befähigt werden, Fürsorge leisten zu können“, sagte er.

Zur Zeitpolitik gehören aber auch Teilzeitmodelle oder modulare Ausbildungen und Karriereverläufe, aus denen man für eine Elternphase aussteigen – und in die man danach wieder einsteigen kann. Die Infrastruktur schließlich betrifft vor allem die Kommunen, die Kinderbetreuung und Familiendienste als Investition in ihre Familien begreifen muss, die „lokalen Bündnisse für Familie“, die das Familienministerium angestoßen hat, werden ausdrücklich lobend erwähnt.

Familienministerin von der Leyen fühlte sich durch die Wissenschaftler bestätigt. Dass sie nun von allen Seiten mit Kritik konfrontiert sei, verwundere sie nicht, sagte sie: „Das sind alles neue Dinge, natürlich haben die zu Anfang per se noch keine Mehrheiten.“ Wie es aussieht, hat sie die Mehrheiten für die Vätermonate aber dann doch erfolgreich organisiert.

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