: Das Zentrum des New-Age-Tourismus
AUROVILLE Das Labor für Evolution nahe dem südindischen Pondicherry ist eine Esoterikversion von Disneyworld, aber auch eine umtriebige Gemeinschaft, ein soziales Modellprojekt, das immer wieder Neues ausprobiert
■ Anfahrt: Am besten lässt sich Auroville über den Flughafen in Chennai erreichen. Von dort bringt einen, nach vorheriger Absprache, eine Taxi aus Auroville direkt zur Unterkunft. Kosten: ca. 1.500 Rs (ca. 25 Euro)
■ Unterkunft: Es gibt eine Vielzahl von Gästebetten und -häusern. Die Preise schwanken zwischen 100 Rs und 2.500 Rs (ca. 2 Euro bis 42 Euro). Während der Hauptsaison von Dezember bis Februar empfiehlt sich eine Reservierung.
■ Sehenswürdigkeiten: Das Matrimandir ist die Hauptsehenswürdigkeit. Über 100 Kilo Gold wurde in kleinen Plättchen verarbeitet, die die Außenhaut bilden. Wirklich interessant ist das Bauwerk allerdings nur von innen. Strahlend weißer Marmor und das Wasser, das durch den Innenraum fließt, wirken selbst auf den weltlichsten Geist beruhigend. Den Kern bildet die Meditationskammer, die vom angeblich größten Kristall der Welt erleuchtet wird. Dieser bricht das Licht, das durch eine Dachluke fällt, und verteilt es im gesamten Raum. Tagestouristen ist der Besuch des Matrimandir verwehrt.
■ Aktivitäten: Um tatsächlich Einblick in die Gemeinschaft zu bekommen, empfiehlt sich die Mitarbeit in einem der zahlreichen Betriebe. Die Farmen, Bäckereien oder Käsereien, die Bioprodukte aus heimischer Produktion verarbeiten, sind immer für Hilfe dankbar. Auch in Schulen oder anderen Einrichtungen ist Mitarbeit möglich. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von Yoga-Workshops und Wellnessangebote und einen Strand.
■ Informationen: finden sich unter www.auroville.org. Bei Fragen zur Urlaubsplanung: Telefon+91 41 32 62 26 75, avguestservice@auroville.org.in
VON FREDERIK FISCHER
Es sollte der Geburtsort einer neuen Menschheit werden. Als Auroville, „das Labor für Evolution und menschliche Einheit“ nahe dem südostindischen Pondicherry, 1968 seine Gründung feierte, dachte man noch in Superlativen. 50.000 Sinnsuchende aus der ganzen Welt wurden in der Hippie-Planstadt erwartet. Gemeinsam sollte der Aufstieg zu einer höheren Wesensform gelingen. Heute ist den 2.000 Gemeindemitgliedern klar, dass sie die 50.000 wohl nicht vollkriegen werden, und auch das mit dem Aufstieg hat bislang noch nicht geklappt. Die Vision von einst scheint pragmatischem Unternehmertum gewichen zu sein. Über vierzig Jahre nach dem ersten Spatenstich ist Auroville zum Zentrum des globalen New-Age-Tourismus geworden.
Das Angebot an überteuerten Massagen, Kuren und Merchandise-Artikeln ist schier unüberschaubar. Und dann ist da noch die Hauptattraktion – das Matrimandir. Der „Tempel der Mutter“ wurde nach vierzigjähriger Arbeit letztes Jahr fertiggestellt und erstrahlt nun im Glanz tausender Goldplättchen, die die Außenhaut des kugelförmigen Bauwerks darstellen. Spätestens beim Anblick dieses Epcot-Zwillings wähnt man sich in einer Esoterikversion von Disney World. Doch wer nun, enttäuscht, dem Tagestouristenstrom zurück nach Pondicherry folgt, verpasst das andere, echte Auroville.
In über vierzig Jahren seit der Gründung ist hier, abseits der Touristenpfade, nämlich tatsächlich eine Gemeinschaft herangewachsen, die vom Hype um das Matrimandir weitgehend unberührt blieb. Wer dieses Auroville kennenlernen möchte, sollte es nicht eilig haben. Denn die Aurovillianer sind keine Statisten, die einen ewigen Hippie-Karneval aufführen, sondern überwiegend hart arbeitende Menschen aus der ganzen Welt, die sich hier ein Leben aufgebaut haben und ihrer Tagesroutine folgen.
Seit den anarchistischen Anfangstagen in der Wüste hat sich viel verändert. Eine professionelle Organisation mit eigener Verwaltung, einer Bank und einer PR-Abteilung ist entstanden. Überall schießen architektonisch bemerkenswerte Bauwerke aus dem Dschungel. Und das es überhaupt so etwas wie einen Dschungel gibt, ist ebenfalls die Leistung der Aurovillianer. Über vier Millionen Bäume haben sie in den einst verkarsteten Boden gepflanzt.
Am bemerkenswertesten ist jedoch die fröhliche Umtriebigkeit, die hier jeden zu erfassen scheint. Zahllose Projekte wurden und werden verfolgt. Von solar betriebenen Kochtöpfen über Elektrofahrräder bis hin zu einem eigenen Radiosender, tüfteln die Bewohner fleißig an nachhaltigen Lösungen für ein sozial- und naturbewusstes Gemeinwesen. Was andernorts als Spinnerei abgetan würde, wird hier einfach ausprobiert – und bei Bedarf wieder geändert. So gab es Zeiten ohne Geld, dann wieder mit Geld, und momentan wird nach einem Couponsystem bezahlt.
Der 70-jährige Deutsche Frederick Schulze-Buxloh hat den Weg von Auroville von Anfang an verfolgt. Als einer der Ersten zog er damals, 1967, mit seiner Familie ins Ungewisse. „Keine Straßen, kein Strom, kein Essen. Die Sonne verbrannte unsere Haut, und die Sandstürme behinderten uns bei der Arbeit, aber damals war das halt so. Man opferte alles seinem Ideal.“ Mittlerweile wohnt der Exilmünchner in einer komfortablen Wohnung, inklusive Kühlschrank und Internetanschluss. „Man kann nicht immer Pionier bleiben, wenn man wirklich etwas aufbauen will. Mittlerweile sind wir eben eine Institution geworden. Dazu gehören dann auch Zäune, Verwaltung, Regierungsbeamte.“
Tatsächlich trifft man hier indische Beamte im öffentlichen Auftrag. Auroville steht unter besonderem Schutz der Regierung. Ein eigenes Gesetz, der „Auroville Foundation Act“, wurde 1988 verabschiedet und gewährt der Gemeinde als soziales Modellprojekt finanzielle Förderung und rechtlichen Schutz. Selbst die Unesco hält ihre Hand über Auroville und unterstützt die zahlreichen Entwicklungshilfeprojekte der Bewohner. Aktuell wird sogar darüber beraten, ob Auroville als Weltkulturerbe anerkannt werden soll.
Dieser Adelsschlag würde dem Projekt sicher guttun. Denn immer noch kämpft die Gemeinde gegen die schlechte Publicity. Spätestens als 2008 eine BBC-Reporterin aufdeckte, dass ein Pädophiler zu den Gemeindemitgliedern zählte, geriet Auroville in ähnliche Erklärungsnot wie aktuell die katholische Kirche. Übergriffe auf Kinder konnten nie nachgewiesen werden, ein gewisser sektiererischer Ruch haftet der Gemeinde dennoch an. Nicht zuletzt wegen der omnipräsenten Porträts von Sri Aurobindo, dem Evolutionsphilosophen und geistigen Vater der Gemeinde, sowie seiner Witwe Mira Alfassa, die Auroville gründete und bis zu ihrem Tod 1973 leitete.
Kreativität wird gefördert
Ob in der Solar-Kitchen, der gemeinschaftlichen Küche oder in Privatwohnungen – nirgends entkommt man den gütig lächelnden Gründerfiguren. Und auch heute noch werden die Schriften Aurobindos und „der Mutter“, wie Mira Alfassa von den Aurovillianern genannt wird, wie heilige Texte gelesen. Mit Religion hat das ganze Glaubenskonstrukt aber nur oberflächlich etwas gemein. Missionarischer Eifer ist den Gemeindemitgliedern ebenso fremd wie der Glaube an Wunder oder Gottheiten.
Vor allem die Kinder, die in Auroville aufgewachsen sind, liefern dafür den Beleg. Sie werden ermuntert, im Ausland zu studieren und neue Erfahrungen zu sammeln. Samvit Blass beispielsweise ist gerade erst nach Auroville zurückgekehrt, um hier zu arbeiten. Über zehn Jahre studierte und arbeitete der gebürtige Aurovillianer in England, Amerika, China und Indien, wo er als Produktdesigner zahlreiche Preise gewann und Karriere in großen Unternehmen machte. Nun möchte er seine eigene Firma zum Erfolg führen und zog dafür von der Boomtown Bombay zurück in den Dschungel. „Für mich ist Auroville ein großartiger Platz für außergewöhnliche Ideen“, sagt Samvit Blass.
Kreativität wird in der Erziehung großgeschrieben. Ganz im Sinne der 68er wird hier immer noch eine Form der Erziehung praktiziert, die Kinder zu nichts zwingt, sondern einzig dabei unterstützt, ihre eigenen Fähigkeiten und Talente zu entdecken. Einen offiziell anerkannten Schulabschluss gibt es zwar nicht, aber den holen sich viele Abgänger anschließend in einer öffentlichen Schule. Nur das Studium können sich nicht alle leisten.
Der 27-jährige Rehbu beispielsweise studierte in den Niederlanden. Dafür nahm er einen Kredit auf, den er bis heute abzahlt. Er gehört dabei mit seiner niederländisch-indischen Doppelstaatsbürgerschaft noch zu den Glücklichen. Anderen Aurovillianern und vor allem den tamilischen Jungen aus den umliegenden Dörfern bietet sich diese Chance nicht. „Wäre ich nur hundert Meter weiter, in einem tamilischen Dorf, auf die Welt gekommen, hätte ich niemals tun können, was ich wollte. Nur weil ich das Kind meiner Eltern bin, konnte ich tun, was ich tat. Das ist ungerecht“, sagt Rehbu.
Der Kulturkonflikt
Das sehen auch viele Tamilen so. Das Verhältnis zwischen den Nachbarn hat sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Obwohl Auroville vielen notleidenden Tamilen Arbeit und Einkommen verspricht, fühlen sich diese von den vergleichsweise wohlhabenden und aus dem Westen stammenden Aurovillianern bedroht und in ihrer traditionellen Lebensweise gestört. Immer wieder kommt es auch zu Übergriffen durch Tamilen auf weibliche Touristen. Der traurige Höhepunkt der Auseinandersetzung ereignete sich vor einigen Jahren, als ein Freund von Aurosylle, Fredericks Tochter, von Tamilen ermordet wurde.
„Das war ein großer Schock für mich. Aber teilweise verstehe ich auch die Wut der Tamilen. Kürzlich hat beispielsweise ein neues Gemeindemitglied Land von einer tamilischen Bauernfamilie gekauft. Diese haben nun zwar viel Geld, müssen aber ihr ganzes Leben ändern und schüren darüber hinaus den Neid der übrigen Dorfbewohner. Wir greifen hier in ein sehr sensibles soziales System ein“, sagt Frederick.
Wirklich verstehen wird auch Auroville kaum ein Besucher. Den Wunsch, wiederzukommen, schmälert dies kaum.
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