: Computerausfälle bedrohen Präsidentschaftswahl
PHILIPPINEN Ein unzuverlässiges Computersystem könnte das für Manipulationen bekannte alte Wahlsystem mit neuem Chaos ersetzen
TOKIO taz | Noch steht alles auf der Kippe: Wird am Montag auf den Philippinen wie geplant ein neuer Präsident gewählt? Erstmals soll es in dem südostasiatischen Staat computerisierte Wahllokale geben, um den notorischen Betrug beim Auszählen zu verhindern. Die Technik kostete 163 Millionen US-Dollar. Doch sie ist nicht zuverlässig. Beim letzten Test zu Wochenbeginn lasen die Maschinen die Wahlzettel nicht korrekt. In 76.300 Wahllokalen müssen jetzt die Speicherkarten der Scanner getauscht werden – eine Mission Impossible auf einem Archipel mit mehr als 7.000 Inseln.
Zwar betonte ein Sprecher der Wahlkommission Comelec: „Wir haben ein Mandat. Wir werden am 10. Mai die Wahlen abhalten.“ Doch erst Sonntagabend will Comelec entscheiden, ob am Montag wirklich Präsident, Vizepräsident, 12 der 24 Senatoren und das ganze Abgeordnetenhaus gewählt werden. Dann wären die Tage von Gloria Macapagal Arroyo als Präsidentin gezählt. Nach neun Jahren an der Spitze darf die Unbeliebte nicht mehr für das höchste Amt kandidieren.
Aus der Politik zieht sich die 63-Jährige aber nicht zurück: Sie will als Abgeordnete künftig ihre Heimatprovinz vertreten, ein Novum in der Landesgeschichte für ein Exstaatsoberhaupt. Viele wittern dahinter Arroyos Versuch, eine Verfassungsänderung durchs Parlament zu bringen und die präsidiale durch eine parlamentarische Demokratie zu ersetzen. So könnte Arroyo, deren Amtszeit Korruption und Machtmissbrauch prägten, als Premierministerin wieder Macht bekommen.
Geht es nach Senator Benigno „Noynoy“ Aquino, geschieht das nicht. Der erklärte Arroyo-Gegner führt alle Umfragen für die Präsidentenwahl. Sein Slogan „Ohne Korruption gibt es keine Armut“ kommt an. „Ich hoffe, dass Noynoy gewinnt“, sagt die Hausangestellte Ella Munez aus Manila. „Ihm glaube ich, dass er etwas für die Armen tun wird, statt Geld in die eigene Tasche zu scheffeln. Das schuldet er dem Andenken seiner Eltern.“ Denen verdankt der wenig charismatische 50-Jährige in der Tat seine Beliebtheit. Vater Benigno „Ninoy“ Aquino, der bei der Rückkehr aus dem Exil 1983 von Schergen des Diktators Ferdinand Marcos erschossen wurde, gilt als Märtyrer. Und die 2009 verstorbene Mutter Corazon Aquino, Präsidentin 1986 bis 1992, war eine Ikone.
Ob „Noynoy“ Aquino tatsächlich das generationenalte soziale und politische Gefüge des Archipels verändern könnte, ist fraglich. Zweihundert reiche und einflussreiche Familienclans teilen das Land unter sich. Die Aquinos sind einer davon. Als Mitglied der Oligarchie kann sich Aquino deren Ränkespielen nicht entziehen, glauben Kritiker. Um Korruption und Vetternwirtschaft wirksam zu bekämpfen, fehle ihm zudem der Biss. Daran mangelt es seinem stärksten Konkurrenten, Manuel Villar, nicht. Der aus Manilas Slums zum Millionär aufgestiegene Selfmademan hat das Land mit seinen Wahlplakaten förmlich tapezieren lassen. Alles oder nichts, so seine Devise. Als Senatspräsident konnte der Immobilienkönig die Politik so beeinflussen, dass sie gut für seine Geschäft ist. Trotz Interessensverquickungen hat er viele Anhänger. Seine Erfolgsstory gibt den mehr als 33 Millionen Philippinern, die unterhalb der Armutsgrenze leben, Hoffnung. In der Geschäftswelt hat er einflussreiche Verbündete, die seinen Wahlkampf unterstützen.
Fast gleichauf mit Villar liegt laut Umfragen Joseph „Erap“ Estrada. Der ehemalige Schauspieler war schon 1998 bis 2001 Präsident, wurde aber durch Massenproteste gestürzt. Wegen Bereicherung im Amt, im Prozess ging es um umgerechnet 62 Millionen Euro, wurde er 2007 zu lebenslanger Haft verurteilt, aber bald von Präsidentin Arroyo begnadigt. Nun ist „Erap“ zurück, verteilt Medizin und Kinderkleidung in den Slums und verspricht allen ein besseres Leben. Sollte er nicht gewinnen, kann er wie alle anderen Verlierer die Schuld beim mangelhaften Computersystem suchen, das eigentlich erstmals saubere Wahlen garantieren sollte. HILJA MÜLLER
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