: Reklame für die Nachkriegs-Kisten
LADENHÜTER Mit Modellprojekten versuchen norddeutsche Kommunen, Häuser in Siedlungen aus der Nachkriegzeit an den Mann zu bringen
VON JOACHIM GÖRES
Einfamilienhäuser prägen das Bild in ländlichen Siedlungen sowie in kleinen und mittleren Städten. Es gibt Millionen von ihnen in Deutschland. Viele Besitzer sehen ihr Haus als Absicherung im Alter an – wenn durch den Verkauf der Immobilie eine kleine, barrierefreie Wohnung oder ein Platz im Seniorenheim ermöglicht werden soll. Doch diese Rechnung muss nicht aufgehen: Gerade Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit sind oft nur schwer zu verkaufen. Zu kleine Grundrisse, schlechte Energiebilanz, ungünstige Lage in Siedlungen am Rande der Kommune. „Es fehlt älteren Eigentümern oft Geld für die Renovierung, so dass es zum Sanierungsstau kommt“, sagt Andrea Richter, für die Bebauungsplanung im Bauamt Bad Sachsa zuständig. Die 7.500 Einwohner zählende Stadt leidet wie die meisten Kommunen im Harz unter Überalterung und einer ständig sinkenden Bewohnerzahl.
Immer mehr Orte in schrumpfenden Regionen werden inzwischen gegen drohenden Leerstand und Abriss von Einfamilienhäusern aktiv. „Es geht darum, erstmal überhaupt den Leerstand zu enttabuisieren“, sagt Silke Weidner, Professorin für Stadtmanagement an der Uni Cottbus. „Gerade in ländlichen Gegenden gilt es als Makel, wenn man keinen Kaufinteressenten findet.“ Ihr Fazit nach ihren bisherigen Untersuchungen zum Thema: „Wir brauchen nicht über den Erhalt des Bestandes zu sprechen, wenn die Kommunen weiter Neubaugebiete ausweisen. Wir machen Lokalpolitikern immer wieder klar, welche hohe Kosten mit Neubaugebieten verbunden sind.“
Eine Position, die Frank Scheckelhoff nicht teilt. Er ist Fachdienstleiter Planen und Bauen in Bad Laer, eine Gemeinde mit 9.500 Einwohnern in der Nähe von Osnabrück mit einem hohen Anteil von Einfamilienhäusern aus den 50er- und 60er-Jahren. „Man kann auf Neubaugebiete nicht verzichten, wenn man junge Familien anziehen will“, sagt Scheckelhoff. „Aber man muss gleichzeitig etwas für den Bestand tun.“ Wer sich in dem Kurort für den Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses interessiert, der bekommt für ein Architekten-Gutachten 600 Euro. Wer sich danach für den Kauf entscheidet, erhält sechs Jahre lang einen jährlichen Zuschuss zwischen 600 und 1.500 Euro von der Gemeinde – abhängig von der Zahl der Kinder und nur dann, wenn er in das Haus auch selber einzieht. 10.000 Euro stehen dafür pro Jahr im Gemeindeetat bereit. Bisher wurden vier Hauskäufe mit diesen Mitteln gefördert. „Es ist schwer zu beurteilen, ob die heutigen Eigentümer nicht auch ohne unser Geld ihr Haus gekauft hätten“, räumt Scheckelhoff ein. Gleichzeitig unterstützt die Kommune Bauträger, die barrierefreie Mietwohnungen für Senioren in Bad Laer errichten, damit sie aus ihren zu groß gewordenen Häusern ausziehen und dennoch in der vertrauten Umgebung bleiben können.
„Bei der jetzigen Entwicklung mit weiter sinkender Bevölkerung ist absehbar, dass in 20 Jahren ein Viertel der Häuser in Cuxhaven leer stehen wird“, sagt Stadtplaner Ulrich Lasius. In der nördlichsten Stadt Niedersachsens stammen mehr als die Hälfte der 11.000 Einfamilienhäuser aus den 60er-Jahren – sie prägen das Stadtbild. Damit es nicht zum massenhaften Leerstand kommt, gibt es in Cuxhaven seit einigen Jahren das Projekt „Wohnlotsen“, in dem neben Stadt und Landkreis unter anderem auch Makler und Wohnungsunternehmen zusammenarbeiten. Es informiert über freie Objekte und finanzielle Fördermöglichkeiten bei Kauf und Sanierung. Eigene finanzielle Anreize wie in Bad Laer kann sich das hoch verschuldete Cuxhaven nicht leisten. „Durch ‚Wohnlotsen‘ hat der Kauf von Bestandsimmobilien ein viel besseres Image bekommen“, sagt Lasius. „Obwohl die Einwohnerzahl sinkt, sind in den letzten Jahren die Verkäufe der 60er-Jahre-Häuser leicht gestiegen, während der Markt für Neubauten eingebrochen ist.“ Aus seiner Sicht kann es aber nicht darum gehen, die Wohngebäude-Bestände aus der Nachkriegszeit alle auf ewig zu erhalten, wo heute ganz andere energetische Standards beim Wohnungsbau möglich sind. Lasius: „In der Landwirtschaft gibt es Prämien für Brachflächen, wenn die Bewirtschaftung eingestellt wird. In diese Richtung muss auch die Diskussion bei Wohn-Immobilien in den Regionen gehen, in denen die Bevölkerung sinkt.“
Ludger Kloidt ist Projektmanager bei der Agentur NRW Urban, die Kommunen berät. Er weiß, dass gerade Rentner vor hohen Kosten für die Sanierung ihres Hauses zurückschrecken. „Für ältere Menschen ohne Erben wäre es ideal, wenn sie ihr Wohneigentum in eine Genossenschaft geben würden und mit diesem Kapital barrierefreie Wohnformen in ihrem Viertel entstehen könnten“, sagt Kloidt. Solche Modelle würden derzeit diskutiert. „Doch bis zur Umsetzung ist es noch ein weiter Weg, denn heute kann sich das kaum ein Eigentümer vorstellen.“
In der 2012 erschienenen Studie der Wüstenrot Stiftung „Die Zukunft von Einfamilienhaus-Gebieten aus den 1950er- bis 1970er-Jahren“ wurde erfragt, was heutigen Käufern eines Hauses aus der Nachkriegszeit am wichtigsten ist. Sie nannten vor allem die Wohngegend und die passende Größe des Hauses. Dahinter lagen mit einigem Abstand gleichauf die Nähe zum Stadtzentrum, der Garten und die Grundstücksgröße. Die geringste Rolle spielten der Kaufpreis und ein guter Grundriss. An Nachteilen wurden am häufigsten eine schlechte Dämmung und unzeitgemäße Sanitäranlagen akzeptiert – weil man dies noch ändern kann.
Für Stefan Krämer von der Wüstenrot Stiftung, gibt es keine Patentrezepte: „Abriss von Häusern der 50er- und 60er-Jahre ist heute noch die Ausnahme, das wird zunehmen und kann im Einzelfall auch sinnvoll sein.“ Wichtig sei aber, dass das Angebot von günstigen Häusern aus dieser Zeit erhalten bleibe. „Denn viele Familien können sich einen Neubau nicht leisten.“
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