: Der Krieg in den Kochtöpfen
Mit der Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien begann auch die vielfältige gastronomische Kultur zu zerbröckeln, mit der sich Gastronomen vom Balkan seit den Sechzigern in Deutschland eine Existenz aufgebaut hatten. Heute ist dieses Erbe fast ganz verschwunden. Ein kulinarischer Rückblick
von PATRICK MOORE
Jeder kannte sie. Sie hießen Dubrovnik, Mostar oder Split. Ihre Namen erinnerten die Passanten im Westdeutschland der Siebziger- und Achtzigerjahre an die letzten oder die nächsten Ferien in Jugoslawien. Manche hatten auch weniger bekannte Namen wie Lika oder Morava, die Anhaltspunkte für die Herkunft der Betreiber boten.
Die dritte Sorte von Restaurants „mit deutscher und jugoslawischer Küche“ inspirierten einen Berliner Professor zu dem Satz: „Der Balkanologe ist immer im Dienst.“ Die Studierenden sollten auf versteckte Details im Namen der Kneipe oder bei der Einrichtung achten. Hing irgendwo ein Bild des Hitler-Verbündeten Ante Pavelic, so war der Wirt als kroatischer Nationalist identifiziert. Hieß die Kneipe Heiliger Georg der Ritter, so war klar, dass der Kneipier einen ähnlichen ideologischen Background hatte wie der mit dem Pavelic-Bild – aber in der serbischen Ausführung.
In Westdeutschland gab es tausende „jugoslawische“ oder „Balkan“-Restaurants. Einige waren spezialisiert auf Familienausflüge, andere auf ihre Nachbarschaft. Die Betreiber waren politische Flüchtlinge aus dem kommunistischen Jugoslawien oder Gastarbeiter, die ein wirtschaftlich besseres Leben suchten. Einige Lokale waren groß und lagen in der Innenstadt, manche hatten wirtschaftliche Verbindungen zu Firmen in Ljubljana, Skopje oder sonst wo in der Heimat.
Ein paar von ihnen wurden Institutionen, etwa das von Slowenen betriebene Opatija am Münchner Königsplatz oder das makedonische Novo Skopje am Berliner Kurfürstendamm.
Jugoslawisierter Geschmack
Als Grundausstattung boten Balkanrestaurants Gerichte aus ganz Jugoslawien, vor allem aus den serbokroatischsprachigen Regionen Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien. Hinzu kamen Steaks und Schnitzel, um deutsch essende Besucher anzulocken. Deren Essgewohnheiten wurden dann nach und nach jugoslawisiert. Im Zentrum standen dabei Würstchen aus Hackfleisch, Cevapcici, und deren nahe Verwandte, Pljeskavica genannte, große, flache Frikadellen. Beide Speisen konnten die Art des Wirts sein, unliebsame Gäste loszuwerden – oder wunderbare Mahlzeiten von hoher Qualität.
Andere Standardgerichte waren Raznici, gerillte Fleischstückchen am Spieß, ein würziges Eintopfgericht namens Muckalica und, besonders im Winter, die Sarma genannten, mit Hack gefüllten Kohlrouladen. Das Novo Skopje und andere makedonische Restaurants legten besonderen Wert auf ihre Grillgerichte, besonders die Mesana Skara genannten gemischten Grillplatte. Die Mahlzeiten wurden meist mit einem traditionell am Tisch zubereiteten und in winzigen Tassen servierten türkischen Kaffee abgerundet.
Die Blütezeit der Jugorestaurants war die des deutschen Massentourismus nach Jugoslawien in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren. Dann änderte sich ihr Image. Modebewusste und wohlhabendere Deutsche begannen, ihren Urlaub weiter weg zu verbringen. Ferien an der jugoslawischen Adriaküste wurde mehr und mehr mit Billigtourismus identifiziert. Eins nach dem anderen machten die Balkanrestaurants Platz für indische, thailändische, vietnamesische oder chinesische Lokale, deren Betreiber den Markt von den Jugoslawen übernahmen wie diese zuvor von den deutschen Gastwirten.
Das Verschwinden der Fahnen
Nach der Unabhängigkeit Kroatiens im Juni 1991 verschwanden die Poster mit Aufschriften wie „Plitzwitzer Seen – Jugoslawien“ schnell von den Wänden der kroatischen Restaurants. Sie wurden ersetzt durch glänzende neue Plakate, auf denen für dieselben Reiseorte geworben wurde – nur das diese jetzt in Kroatien lagen. Andere Einrichtungsstücke und die Speisekarte wurden auf dieselbe Weise von Wörtern wie „Balkan“, „jugoslawisch“ oder „serbisch“ gesäubert. Das slowenisch geführte Opatija nahm die jugoslawische Fahne aus dem Schaukasten. Seitdem steht dort die deutsche allein – in einem Ständer, der ganz offensichtlich für zwei Flaggen gestaltet wurde.
Mit dem Zerfall des Kommunismus erregten einige Balkanrestaurants noch einmal öffentliches Interesse. 1990 versuchte die damals noch kommunistisch-jugoslawische Führung Kroatiens, die oft konservativ-national eingestellten Gastarbeiter in der Bundesrepublik an der Teilnahme an den ersten freien Wahlen zu hindern. Sie erließ ein Wahlgesetz, das eine Teilnahme an den Abstimmungen nur vor Ort, also in der damals jugoslawischen Teilrepublik erlaubte. Aus Protest stellte ein Münchner Lokal seine Räumlichkeiten der kurz zuvor gegründeten Partei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) als logistische Basis zur Verfügung – mit dem Ergebnis, dass am Wahltag hunderte Kroaten aus Bayern mit Charterflügen und Bussen in die Heimat fuhren und für die HDZ stimmten. Der Chef der Partei, Franjo Tudjman, wurde erster frei gewählter Präsident Kroatiens. Er belohnte die deutsche „Diaspora“, indem er den Gastarbeitern erlaubte, künftig in verschiedenen Städten der Bundesrepublik zu wählen – darunter München.
In einigen anderen nunmehr exjugoslawischen Restaurants gingen die Reaktionen auf die veränderten politischen Umstände im Herkunftsland weit darüber hinaus. In einem kroatischen Lokal in Westdeutschland etwa trafen sich Anfang der Neunziger regelmäßig Landsleute im Seitenzimmer, wo sie mit gedämpften Stimmen aufeinander einredeten. Nach einigen Wochen tauchte ein großer Laster auf. Das Personal wurde sichtlich nervös. Als der Laster wieder abfuhr, war die Erleichterung fühlbar. Dass in der Gaststätte Waffenschmuggel betrieben wurde, fiel auch den deutschen Behörden auf. Eines Abends betraten ein Dutzend Männer den Laden. Jeder setzte sich an einen anderen Tisch. Alle sprachen Deutsch, ließen aber durchblicken, dass sie jedes Wort verstanden, das die anderen Gäste, das Personal und die Leute im Seitenzimmer auf Kroatisch fallen ließen. Sie gaben sich auch keine Mühe zu verbergen, dass sie im Schulterhalfter unter ihren Jacketts und Pullovern Waffen trugen. Der Lastwagen kam nie wieder.
Andere exjugoslawische Lokale brachten sich auf weniger finstere Weise in die Politik ein. Das Berliner Novo Skopje etwa war bekannt als Wohnzimmer der Anhänger der nationaldemokratischen Partei Innere Makedonische Revolutionäre Organisation (VMRO). Wenn diese an der Regierung beteiligt war, waren die Beziehungen zur diplomatischen Vertretung Makedoniens besonders offen und eng.
Der Ausbruch der Kriege 1991 war der Anfang vom Ende der Jugorestaurants. Das hatte viele Gründe, etwa steigende Preise für Gewerbeflächen und Bierverkaufsquoten. Vor allem aber verdarben die Bilder der Gewalt auf den TV-Bildschirmen den Deutschen den Appetit auf den Balkan. Viele Wirte warfen das Handtuch.
In München-Schwabing zum Beispiel gab es 1985 mehr als ein Dutzend Balkanrestaurants, heute noch zwei oder drei. Sie überlebten dank ihrer bosnischen, kroatischen, montenegrinischen, serbischen oder kosovo-albanischen Landsleute, ihrer meist älteren deutschen Stammkundschaft oder regelmäßiger Besuche von am Balkan interessierten Journalisten, Regionalwissenschaftlern und Studierenden.
Trotz aufmerksamer Bedienung, gemütlicher Ausstattung und peinlicher Sauberkeit verloren die anderen Jugorestaurants den Wettbewerb gegen die benachbarte griechische, italienische oder asiatische Konkurrenz. Das Verschwinden der restlichen Balkanlokale scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Betreiber sind fatalistisch. In den ehemaligen Räumlichkeiten des Berliner Morava ist heute eine trendige Bar, genauso wie in denen des Münchner Opatija.
Eine der wenigen verbliebenen Balkangaststätten Schwabings ist das Zadar. Doch trotz der sprichwörtlichen Gastfreundlichkeit der Wirtsfamilie Zaja und einiger Anstrengungen, sich an veränderte Ansprüche und Geschmäcker anzupassen, kommen auch dorthin weniger Gäste als früher. Es empfiehlt sich, beim Verlassen des Zadar einen Blick zurückzuwerfen. Es mag sein, dass an der Stelle des traditionsreichen Balkanrestaurants schon beim nächsten Münchenbesuch eine Sushibar eröffnet hat.
Patrick Moore, 55, wuchs in Detroit, USA, auf und studierte in der Bundesrepublik und Jugoslawien. Seit 1977 ist er Balkan- und Russlandexperte bei Radio Free Europe – Radio Liberty in München und Prag. Die Balkanrestaurants Westdeutschlands besucht Moore seit 1971. Aus dem Englischen in feinstes Deutsch übertragen hat seinen Text Rüdiger Rossig
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