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Halb Mensch

AFFIG Der Primat soll menschlicher werden, damit wir länger leben

„Unsere Zukunft ist die Genetik, die eine Kombination aus Sex und Ökonomie ist“

BORIS GROYS, KULTURWISSENSCHAFLTER

VON HELMUT HOEGE

Im 1789 errichteten Tieranatomischen Theater auf dem heutigen Campus Nord der Berliner Humboldt-Universität findet derzeit eine Ausstellung über „Mischwesen“ statt – „Humanimal“ genannt. Gleich am Anfang stößt man auf eine weibliche „Minotaurus“-Plastik. Aus Mythen und Märchen kennt man die Schimären Sphinx, Satyr, Pan, Ganesha und Nixen. Die Ausstellungsmacher haben weitere rund 50 solcher Monstren, halb Mensch, halb Tier, aus aller Welt zusammengetragen.

Homers „Sirenen“ fehlen, vielleicht weil man dem Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler folgte, wonach es sich bei ihnen um „Musen“ bzw. „Nymphen“ gehandelt haben soll, die mitnichten einen gemeinen Vogelunterleib hatten, wie gern behauptet wird. Kittler war 2004 selbst mit einem Schiff und dem Tonarchivar der Humboldt-Uni zu ihrer Insel nahe Neapel gefahren, um die schimärische Herabsetzung dieser äußerst ansehnlichen und musikalischen Erfinder der Harmonie qua „empirischer Philosophie“ zu korrigieren.

In der Sowjetunion war man bereits in den Zwanzigerjahren der Mischwesen-Frage empirisch nachgegangen. Der Psychoanalytiker und Generalist Otto Julewitsch Schmidt versuchte auf der damals gegründeten Affenstation in Suchumi, Menschenfrauen mit Schimpansenmännchen zu paaren. Man weiß erst seit 1974, dass dabei nichts rausgekommen wäre. Schmidt kam 1927 nicht so weit: Zwar gab es genug empiriefreudige Revolutionärinnen, aber nur einen Affen, „Tarzan“, und der starb, bevor es zum Äußersten kam.

Die Bild-Zeitung und ZDF-Aspekte vermuteten noch 2004, dass Stalin mit diesem Experiment die Züchtung von Mischwesen als „Arbeitssklaven“ für den Aufbau des Kommunismus plante. Auf so etwas können auch nur reinrassige Westberliner Soziobiologen kommen.

Wahr ist allerdings, dass heute im erzkapitalistischen Amerika Mischwesen produziert werden. 2012 erteilte das Europäische Patentamt der US-Firma Altor ein Patent auf einen genveränderten Schimpansen. Der so dem Menschen technisch angeähnelte Affe soll als „Arbeitssklave“ für Medikamenten-Tests herhalten. Viele Primatenforscher protestierten dagegen.

Bei anderen gentechnischen „Erfindungen“ – Mäuse mit Menschenohren etwa – ist die Öffentlichkeit weniger pingelig. Aber auch diese Tiere sind „Arbeitssklaven“.

Darum ging es abends in der „Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund“ – in den Ministergärten neben dem Holocaust-Mahnmal. Dort gastierte das Schauspielhaus Hannover mit dem Stück „Die Affen“, in dem szenisch und multimedial um ihre Menschenrechtswürdigkeit gestritten wird. Das Stück malte aus, wie „Die Welt ohne uns“ aussähe, wobei es sich in mehreren Akten immer weiter vom Ende der Menschheit entfernte. Etwa 700 Jahre danach besetzen die Menschenaffen die „Leerstelle“, indem sie zunächst unsere Zivilisationsreste vernutzen und langsam immer schlauer wurden.

Der Zoologe Lamarck hatte kurz nach der Französischen Revolution noch die Schimpansen bedauert, dass sie vom Menschen in immer kleinere Habitate zurückgedrängt würden und daher zunehmend verblödeten. Ursprünglich waren sie und wir gleichauf, es war fast ein symmetrischer Krieg. Bis heute wird er immer asymmetrischer; Biologen gehen bereits davon aus, dass der Orang-Utan als erster unter den Menschenaffen aussterben wird.

Neben drei als Schimpansen verkleideten Schauspielern traten im Stück zwei Primatologen auf. Sie testeten die Intelligenz der Affen, indem sie empirisch mit ihnen (auf der Bühne) und in Laborexperimenten (die sie als Filme vorführten) darüber diskutierten, ob die Tiere wirklich in der Lage wären, unser Erbe anzutreten. Dabei lasen die Primatologen den Primaten Goethes „Faust“ vor.

Die drei Schimpansen verstanden natürlich nur Bahnhof, dafür konnten sie bald gegen Belohnung (Nüsse) den Fahrstuhl und einen Fotokopierer bedienen. Sie befanden sich damit in etwa auf der Stufe eines Aushilfshausmeisters. Fraglich blieb jedoch, ob die Primaten auch über eine sekundäre „Theory of Mind“ verfügen.

Davon handelte das Stück „Die Affen“ letztlich. Es orientierte sich explizit an den ärmlichen, aber streng amerikanisch ausgerichteten Schimpansen-Experimenten des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo es vornehmlich um Intelligenztests geht – eben im Rahmen einer „Theory of US-Mind“. Allerdings belohnt man dort die Versuchstiere mit Bananen, nicht mit Nüssen. Die drei ehemaligen DDR-Schauspieler in den Affenkostümen sollen sich geweigert haben, ständig mit Bananen abgespeist zu werden.

Monster-Labor USA

In Berlin, wo man statt einer Bühne das große Foyer der Landesvertretung bespielte, endete das Stück friedlich. Die drei Schimpansen hatten quasi das letzte Wort. Es bestand darin, dass einer Klavier spielte und die zwei anderen mit einer großen Topfpalme und einem Gummibaum auf Rädern tanzten. Kritisch angemerkt sei aber bei „Die Affen“, dass sich die drei Schauspieler längst nicht so schimpansisch benahmen wie der Affe in dem Oshima-Film „Max mon Amour“, in den sich Charlotte Rampling verliebte – und der daraufhin ebenfalls einer Art Zivilisationstest unterzogen wurde.

Dies haben mehr als hundert reale Schimpansen – die meisten in den USA – inzwischen über sich ergehen lassen müssen: Man ließ sie zu Testzwecken in einer normalen Mittelschichtfamilie aufwachsen. Das erste Experiment dieser Art unternahm 1913 Esperantia Ladygina-Kohts, die das Darwin-Museum in Moskau aufbaute und nebenbei einen Schimpansen namens Joni zusammen mit ihrem Sohn Rudi großzog. So etwas lässt sich nur einige Jahre lang durchführen: Wenn die Affen erwachsen und gefährlich werden, kommen sie in einen Zoo oder in medizinische Versuchslabore. Während die Schimpansen nie gefragt wurden, ob sie mit Menschen leben wollen, wagen inzwischen viele wilde Tiere eine asymmetrische „Partnerschaft“, indem sie ihr Habitat in die Großstädte verlagern und dort eine Art Nachbarschaftsverhältnis mit uns eingehen. Ebenso asymmetrisch ist das Verhältnis von Tier und Mensch bei den Transplantations-Mischwesen, denen die Ausstellung im restaurierten Tieranatomischen Theater eine eigene Abteilung widmet. Für die Kuratoren begann deren Produktion mit dem mehrmals verfilmten Zukunftsroman von H. G. Wells, „Die Insel des Dr. Moreau“ von 1896 und der sowjetischen Satire von Michail Bulgakow, „Hundeherz“ von 1925.

Es folgten jede Menge Comics wie „Spiderman“ und Horrorfilme wie „The Wasp-Woman“. Praktisch geht die Entwicklung inzwischen bis zur Verpflanzung von Schweineorganen und Pavianherzen in Menschen. Bisher überlebten das die einen wie die anderen nur einige Wochen.

Ein anderer Weg der Produktion von Monstern scheint vielversprechender: die Gentechnik, von der der Philosoph Vilém Flusser 1987 behauptete, mit ihr beginne die „wahre Kunst“, denn „erst mit ihr sind selbstreproduktive Werke möglich“. Dazu existiert bereits ein wahrer Kunstmarkt: Zierfische, denen man das Gen einer Qualle verpasst hat, sodass sie im Dunkeln leuchten und dies auch vererben, transgene Mücken, Kühe mit menschlichen Genen und so weiter.

In den USA finden regelmäßig Wettbewerbe statt, bei denen angehende „Genetic Engineers“ aus aller Welt um die Herstellung der besten Lebensveränderung konkurrieren. Der russische Kulturwissenschaftler Boris Groys prophezeite in seinem Essay „Herausforderung Tier“: „Unsere Zukunft ist die Genetik, die eine Kombination aus Sex und Ökonomie ist.“Fast scheint es, als würde man auf der einen Seite eine natürliche Art nach der anderen, inklusive der noch unzivilisierten Menschen, auslöschen, auf der anderen Seite jedoch laufend neue – bessere – kreieren. Huxleys „Schöne neue Welt“ war gestern. Endzweck ist dabei immer der Mensch. Sein Lebensglück soll gesteigert werden – bis zur Unsterblichkeit. „Die Affen“ haben also keine Chance, wenn das so weiter geht.

Die Ausstellung „Humanimal“ im Tieranatomischen Theater ist bis zum 12. Januar 2014 zu sehen: Philippstraße 12-13, Campus Nord, Haus 3, Berlin-Mitte

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