: „Mode ist ein dummes Wort“
ROLLENWECHSEL Der mallorquinische Designer Miguel Adrover war der Darling der New Yorker Modewelt. Heute designt er Ökokleidung für die Naturmode-Marke hessnatur und hasst Lagerfeld, Chanel und Glamour
■ Beruf: Kleidungsdesigner und Barbesitzer. Lebt und arbeitet in Palma de Mallorca.
■ Herkunft: Geboren 1965 als Sohn von Bauern im mallorquinischen Dorf Clonge. Geht mit elf von der Schule ab, weil die Eltern ihn auf dem Feld brauchen.
■ Laufbahn: Zieht 1991 nach New York. Bringt sich das Schneidern selbst bei. Gründet 1999 sein eigenes Label und hat großen Erfolg als Designer mit einer „starken sozialen Agenda“ (New York Times). Arbeitet seit 2007 als Kreativdirektor für den Butzbacher Ökotextilpionier hessnatur. Das Unternehmen hat transparente soziale Standards in der gesamten Produktionskette und verarbeitet nur Bionaturtextilien.
INTERVIEW PETER UNFRIED
Nach seiner Rückkehr aus New York ist Miguel Adrover ins Zentrum von Palma de Mallorca gezogen. Es ist elf Uhr an einem warmen Frühlingstag. Adrover empfängt in seinem Atelier in der Nähe der Kathedrale. Das Gespräch findet auf dem Sofa in einer Art Wohnzimmer statt. In Nebenraum steht ein großer Schneidetisch, an dem er seine Kollektionen entwirft. Dort sitzt auch sein Assistent Lluis Corujo, der gerade am Computer arbeitet.
taz: Herr Adrover, Sie waren eine große Nummer in der Modebranche von New York. Und dann? Wachten Sie eines Tages auf und dachten: Oh, es ist alles so oberflächlich?
Miguel Adrover: Nein, so war es nicht. Sie müssen wissen, dass ich nie von Mode angezogen war, auch nicht ganz am Anfang. Mich haben Kleidung interessiert und soziale Bewegungen – oder musikalische Bewegungen wie Punk.
Was passierte dann mit Ihnen?
Das Ziel eines Modedesigners ist es, wie Armani zu werden oder wie John Galliano. Eher Armani, würde ich sagen, weil Galliano nicht so viel verkauft. Aber dann bist du in dieser Industrie drin und siehst, dass die Realität Oberflächlichkeit ist. Mir reicht das einfach nicht. Ich kann mich einfach auch nicht gut verstellen.
Wo ist das Problem?
Ich kann nicht in einen Raum reinkommen und sagen: Oooh, mein Gott, Sweetheart, du siehst so grooooßartig aus. Ich kann meine Arbeit nicht nur machen, um mein Bild in ein Magazin reinzukriegen oder für Ruhm und Geld. Außerdem habe ich genug, um zu überleben.
Obwohl Sie Ihr Geschäft in New York verloren haben?
Ich bin bekannt, ich habe ein nettes Apartment, ich habe langes Haar, ich bin groß und schlank, ich kenne eine Menge Supermodels …
… erzählen Sie mehr …
… und jetzt bin ich 44 und ich sehe nicht viel Glück in unserer Zukunft, wenn ich mir anschaue, wohin diese Gesellschaft sich bewegt. Wir reden nur darüber, wie das letzte Fußballspiel ausging. Wissen Sie was?
Nein, was?
Ich finde es seltsam, wenn die Leute jetzt darüber spekulieren, ob am Nordpol nicht noch Erdölressourcen sind, die man dann ausbeuten kann, wenn das Eis geschmolzen ist. Das bewegt diese Leute: Wie man vom Schmelzen der Polkappen profitieren kann. Wenn man sagt: Rettet die Kinder in Afrika, meint man: Man braucht einen neuen SUV für die City.
Was sagten Ihre Modefreunde zu Ihrer Entwicklung zum Ökodesigner?
Man hat mir gesagt, du bist zu radikal, du spielst das Spiel nicht mit, du versuchst zu hart, dich selbst neu zu erfinden.
Sie sollen nichts Böses mehr sagen über Kollegen wie den Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld?
Aber ich hasse Lagerfeld.
Und Chanel?
Ich hasse Chanel.
Was haben Sie gegen Chanel? So ein Kostüm hält wahrscheinlich zwanzig Jahre.
Wer weiß schon, ob da nicht doch synthetische Fasern den edlen Materialien beigemischt wurden. Coco Chanel hatte eine Faible für unechten Schmuck mit Strasssteinen, weshalb nicht auch für Synthetics? Aber es stimmt: Chanel kommt nicht aus der Mode, man kann es lange tragen. Es geht mir nicht darum, ordinär oder beleidigend zu sein. Ich respektiere, was Coco Chanel für die Frauen und die Gesellschaft geleistet hat. Ich respektiere ihre Vergangenheit, aber ich glaube nicht, dass Chanel etwas machte, was heutzutage relevant ist oder auch nur notwendig.
Warum benutzen Sie Wörter wie „hassen“?
In deinem Zimmer kannst du so genial sein, wie du willst, das wird überhaupt nichts verändern. Wenn du einen Unterschied machen willst, musst du rausgehen, den Kampf ansagen, und du musst dabei laut sein. Da sind eine ganze Menge Leute draußen, die dann folgen werden, weil sie krank und müde sind von dem, was derzeit passiert. Wenn Schlüsselfiguren rauskommen, dann kann sich die Sache ändern. Aber es muss jemand sein, der keinen Respekt hat. Solange man den Respekt behält, spielt man das Spiel mit.
Wofür kämpfen Sie und die von Ihnen Agitierten?
Wir prangern die Kleidungsindustrie so lange an, bis sie ökologisch wird. Das Klima geht den Abfluss runter, das kann man überall sehen. Wenn wir so weitermachen und die Weltbevölkerung so weiterwächst, haben wir nicht mehr genug Boden, um so viele T-Shirts zu produzieren, dass man sie alle drei Monate wegschmeißen kann. Es kommt der Punkt, wo man nur noch nachhaltig produzieren kann oder gar nicht mehr. Das muss man den Leuten klarmachen.
Unser Lebensstil basiert darauf, dass wir die Natur zerstören.
Wir kommen an den Punkt, wo alles nachhaltig sein muss und politisch reglementiert wird. Sagen wir: ein Auto pro Familie, mehr nicht.
Aber da wir nun mal Demokratien sind und sein wollen, kann man das nur ändern …
… indem man in den Köpfen der Leute etwas ändert.
Braucht es neue Magazine für Kleidung? Eine neue Vogue?
Nein, weil es schon genug gibt. Und alle sehen gleich aus. Solange die von ihren Anzeigenkunden erpresst werden, Fotostrecken mit deren Kleidung zu zeigen, ändert sich nichts.
Sie definieren immerhin, was die Menschheit für Glamour, Luxus, Attraktivität hält.
Das stimmt. Aber die wahren Manipulatoren sind die global agierenden Konzerne. Mit ihrer Marktmacht und Kommunikation bringen sie uns dazu, dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir etwas nicht haben, was vollkommen unnötig ist. Eigentlich brauchten wir demokratische Magazine, in denen jeder über dieselbe Menge Anzeigenseiten verfügen könnte.
Eine geniale Idee.
Ja. Demokratische Modemagazine. Ist mir gerade eingefallen. Damit die Leute nicht mehr denken, Beyonce und Lady Gaga seien Avantgarde.
Aber wer denkt das?
Achtzig Prozent der jungen Leute weltweit. Alter Hut. Alles schon da gewesen.
Wie definieren Sie Glamour?
Das fragen Sie mich?
Ja.
Ich hasse das Wort „Glamour“. Es ist dumm. Ich war gerade in Marrakesch und sehe immer noch diese Frau vor mir, total dreckig, mit einem toten Schaf über den Schultern. Sie lächelte mich an. Das war für mich Glamour … auf eine Art.
Weil es echt war?
Ja, weil es kein Fake war, weil es nicht aufgesetzt war, nicht einstudiert. Es war, wie es war. Glamour ist Vergangenheit. Wir brauchen neue Schlussfolgerungen, nicht neue Modefummel.
Ist die Idee von Mode nicht Illusion und Oberfläche?
Für mich nicht. Es geht darum, Schönheit in der Wirklichkeit zu finden. Man sieht sie nicht, weil sie nicht fotografiert und auf die großen Billboards gehoben wird. Aber sie ist da. Wir müssen sie wiederfinden. Wenn jemand kommt und zu mir sagt: Oh mein Gott, deine Show war so glamourös, dann ist das definitiv kein Kompliment für mich.
Was möchten Sie hören?
Du bist so ehrlich.
Was ist für Sie Mode?
Ein weiteres dummes Wort.
Hassen Sie das auch?
Ja. Es ist ein weiteres Wort, das nichts beschreibt. Oder nur Oberflächlichkeit. Glamour, Mode, all diese Wörter: am Ende kommt aus ihnen immer nur Leere heraus. Kein Mensch braucht Leere.
Was braucht man?
Eine eigene Persönlichkeit. Einen eigenen Stil, den man entwickelt. Davor ziehe ich meinen Hut. Aber Stil bekommt man nicht, in dem man Gucci trägt oder Prada oder Dior.
Was ist, wenn man Prada trägt?
Das heißt, dass man sich einen Stil kauft. Nicht dass man einen hat. Es ist lächerlich. Mindestens so lächerlich, wie wenn man sagt: Wir sind so liberal und so frei. Es stimmt einfach nicht. Wir werden nach dem Äußeren eingestuft: Ich kann ja nicht mal auf der Straße laufen, wenn ich das Haar offen trage.
Warum nicht?
Weil ich dann belästigt und beleidigt werde. Es gibt nicht einmal mehr die Freiheit, sich so anzuziehen, wie man das möchte. Und die Zaras und die H&Ms sind überall. Jeder kann Mode kriegen, und zwar zu einem niedrigen Preis.
Ist das eine Verbesserung oder eine Verschlechterung?
Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren konnte noch nicht jeder das bekommen, was die Kreativen gerade machen. Heute schon. Aber was tun denn diese Leute? Sie kommen in meinen Laden, kaufen ihn leer und kopieren es. Da sie viel schneller produzieren, haben sie es dann gleichzeitig in ihren Läden.
Ein Zuwachs an Egalität?
Einerseits. Andererseits ist alles billig produziert, von niedriger Qualität, es vergiftet unsere Böden und ist vielleicht durch „Arbeitssklaven“ oder Kinder zu Hungerlöhnen hergestellt. Kleider zum Wegschmeißen. Sie halten nicht länger als drei Monate, entweder weil sie dann nicht mehr Mode sind oder weil die Qualität so schlecht ist. Die sozialen oder kulturellen Bewegungen sind komplett überschattet. Es zählen nur die Pseudomodebewegungen, die sich ständig wiederholen.
Was meinen Sie damit?
Früher trug man ein verdammtes Iron-Maiden-Shirt, weil man Fan von Iron Maiden war. Heute ist es vielleicht nur ein Trend, wenn die Leute Iron-Maiden-Shirts tragen.
Mögen Sie etwa Iron Maiden?
Klar. Ich mag die unterschiedlichste Musik. Ich hatte selber eine Punkband.
Wie definieren Sie Qualität, Herr Adrover?
Qualität definiert sich über die Struktur, den Stoff und den Nutzen. Es geht auch um Handwerkskunst. Ein Kleidungsstück von hessnatur ist aus Naturfasern, es werden keine bedenklichen Farbstoffe verwendet, kein Gift und keine Chemie. Wir zerstören nichts. Bei der Kleidung des 21. Jahrhunderts geht es um Wirklichkeit. Es geht jetzt darum, wie man die Sachen herstellt, dass sie praktisch sind und sich gut anfühlen.
■ Boom: Grüne Kleidung erlebt einen qualitativen und einen Medienboom. Das wird allerdings quantitativ nicht gedeckt. Weniger als ein Prozent der Baumwolle und der Kleidung weltweit ist biologisch und agrargiftfrei produziert.
■ Produktion: Kleidung wird meist in Entwicklungsländern zu Niedriglöhnen und mit niedrigen Standards hergestellt – dort werden auch die Fasern angebaut.
■ Umweltfaktor: Weltweit werden über 50 Prozent der Kleidung aus Kunstfasern hergestellt, kommen also aus der Chemiefabrik. Sie werden unter Einsatz des fossilen Energieträgers Öl hergestellt, der Rest aus Naturfasern, vor allem aus Baumwolle. Ein Viertel der weltweit eingesetzten Insektizide wird auf Baumwollfeldern versprüht. Dazu kommt Kunstdünger.
Wo bleibt der Style?
Den Style bestimmt man selbst. Es kommt auch darauf an, wie man sich selbst fühlt. Wenn man sich sexy anzieht, sich aber nicht sexy fühlt, das ist doch ein Widerspruch, oder nicht? Man muss sich so anziehen, wie man sich fühlt.
Ökosozial ist für viele das Gegenteil von sexy.
So, so. Da sage ich Ihnen mal, was nicht sexy ist: Kleidung, die man nicht mit gutem Gewissen anziehen kann. Es gibt keine Schönheit ohne Verantwortung.
Setzen Sie Hoffnung in die Kraft grüner Stars?
Ich kenne keinen Superstar, der nicht verbunden ist mit Fake-Glamour und Oberflächlichkeit, die alles ruiniert. Ich hätte nichts dagegen, wenn Pedro Almodóvar meine Kleidung in seinen Filmen benutzte. Ich möchte, dass Penélope Cruz sie trägt, aber ich höre niemanden an meine Tür klopfen. Das ist die wahre Geschichte. Ist sie authentisch, ist sie cool? Sie ist Bullshit.
Penélope Cruz ist Bullshit?
Oh mein Gott, was habe ich gesagt? Entschuldigung, das war jetzt zu hart.
Das Problem ist doch, dass das Böse als sexy gilt und das Gute als langweilig.
Nein, nein. Sinnlichkeit ist das Wahre, sexy ist etwas anderes. Etwas, was inszeniert wird, um zu provozieren. Aber klar, das wird den Leuten eingehämmert: Cristiano Ronaldo ist sexy, Madonna ist sexy. Ich habe in meinen New Yorker Jahren viel von der zur Schau gestellten Sexualität erfahren. Und ich kam an den Punkt, an dem mich das einfach nicht mehr berührt hat. Ich musste zurück zu einfacheren Dingen.
Einfachere Dinge als Sex?
Wie soll ich das sagen: Reinheit kommt auf eine Art der Sinnlichkeit näher als Sexualität, wenn Sie wissen, was ich meine.
Nein.
Wir brauchen hundert SMS am Tag und hundert Anrufe, um eine Beziehung zu haben. Es ist extrem unsexy, jede halbe Stunde mit dem Menschen zu telefonieren, mit dem man etwas teilt. Beziehungen sind Abbilder dessen, was im Fernsehen passiert. Wer glaubt, dass Paris Hilton sexy ist, soll besser noch mal nachdenken.
In Deutschland hat man hessnatur bisher nicht die Dynamik des Begehrenswerten zugesprochen im Sinne: Ich will das haben, ich will Sex darin haben.
Tja. Hess ist kein Sexshop. Die Sexläden verkümmern langsam. Dafür ist echte, nachhaltige Kleidung sehr sinnlich, weil sie am natürlichsten ist. Und Sex ist etwas Natürliches und nichts Verkrampftes.
Ist es nicht Ihre Aufgabe, die Anziehung zu verstärken?
Wir arbeiten jetzt dreieinhalb Jahre zusammen. Die Verkäufe sind sehr gut. International weiß jetzt jeder, dass hessnatur ein Pionier grüner Kleidung ist. Der Katalog, den wir jetzt haben, ist gut für die Kunden, die wir haben. Jetzt braucht es neue Energie, um neue Kunden anzusprechen. Perfekt wäre daher die Kreation eines jüngeren Hess-Katalogs. Da würde ich auch schon mal ein nacktes Mädchen im Dschungel bringen und ganz natürlich inszenieren.
Das könnte Ihre klassische Kundin allerdings ziemlich irritieren.
Möglich. Aber andere wären elektrifiziert und angefixt. Bei allem Respekt dürfen die Jungen nicht vergessen werden, weil sie die Zukunft der Marke bestimmen. Mit dem jüngeren Hess-Auftritt könnten wir noch kreativer und auch politischer sein und uns mit anderen verbinden. Hess könnte der neue Gap in Grün sein.
Hassen Sie denn The Gap nicht auch?
Nein, The Gap und Ralph Lauren sind Global Player in langlebiger Mode; mit denen zu kooperieren und sie von organischer Mode zu überzeugen, das wäre mein Traum.
Warum das?
Viele Leute denken, Chanel hätte die Macht, aber das ist falsch: Das Geschäft läuft dort über die Kosmetik, aber The Gap hat die Macht – wenn so jemand grün wird, ändert er die ganze Branche. Wir brauchen nicht einzelne korrekte Leute, wir brauchen die Masse.
■ Peter Unfried, 46, ist taz-Chefreporter. Er liebt sein kompostierbares T-Shirt von Trigema
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen