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portrait20 Jahre Haft für den „Daueronkel“

Paul Schäfer, der Gründer der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Südchile, bleibt hinter Gittern. Vorgestern verurteilte ein Richter im chilenischen Talca den „ewigen Onkel“ am Mittwoch wegen Kindesmissbrauchs in 25 Fällen zu 20 Jahren Haft.

Seine pädophilen Neigungen kosteten den 1921 geborenen Schäfer bereits nach dem Zweiten Weltkrieg den Job als Jugendpfleger bei der evangelischen Kirche. Nach einigen Jahren als Wanderprediger gründete er 1956 ein Erziehungsheim in Siegburg. Wegen sexuellen Missbrauchs ermittelte die Staatsanwaltschaft, worauf Schäfer und einige seiner Anhänger in Zentralchile die „Vereinigung für Wohltätigkeit und Erziehung“ Dignidad gründeten. Bald verwandelte sich die Siedlung in ein martialisch abgesichertes Lager, wo sämtliche Fluchtversuche unterbunden wurden und die Bewohner mit Kontaktverboten und Beichtzwang kontrolliert wurden. Obwohl die Zustände in der „Kolonie der Würde“ bald aktenkundig waren, wurde Schäfer jahrzehntelang von chilenischen Behörden und der Deutschen Botschaft gedeckt. Demnächst steht dem 84-Jährigen noch ein Prozess wegen Menschenrechtsverletzungen während der Pinochet-Diktatur (1973–1990) bevor, als die Geheimpolizei Dina in der Siedlung Oppositionelle folterte und ermordete – Schäfer legte selbst Hand an. Außerdem wurde auf dem Gelände mit Waffen und Giftgas hantiert.

Als sozialer Wohltäter präsentierte sich Schäfer, indem er die Söhne armer chilenischer Bauern in das Internat der Kolonie aufnahm. Dort wurden sie von „Onkel“ Schäfer missbraucht. Jetzt muss dieser insgesamt rund eine Million Euro Schmerzensgeld an elf seiner Opfer zahlen. Geld dürfte vorhanden sein. Wie die Tageszeitung La Nación vorgestern enthüllte, ist die Justiz nun auch dem Finanzgebaren der Colonia-Führungsclique auf der Spur. Rechtsanwalt Hernán Fernández ist sicher: „Die Colonia Dignidad war auch ein Finanzimperium.“ Es wurde 40 Jahre lang durch die Ausbeutung der rund 300 Siedler aufgebaut, die für ihre Arbeit keinen Peso bekamen. „Arbeit ist Gottesdienst“, predigte der gottähnlich verehrte Sektenchef seinen schuftenden Untertanen. Die sorgten dafür, dass Brot- und Wurstwaren der Kolonie in ganz Chile beliebt waren und Schäfer reich wurde.

Nach Pinochets Abtritt 1990 endete auch die staatliche Protektion Schäfers. Als dieser von den Ermittlungen gegen ihn erfuhr, floh er ins nahe Argentinien. Dort wurde er letztes Jahr in einer Luxusvilla verhaftet und nach Chile überstellt. Er könne sich an nichts erinnern, gab der Rollstuhlfahrer zu Protokoll.

GERHARD DILGERKERSTIN SPECKNER

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