: „Widerstand fängt klein an“
GESCHICHTE Zwangsräumungen vor 140 Jahren, das Recht auf Rauchen im Tiergarten: Beides gehört zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Axel Weipert hat darüber geschrieben
■ forscht zur Rätebewegung in Berlin. Kürzlich hat er im Berliner Wissenschaftsverlag das Buch „Das Rote Berlin – Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830 bis 1934“ herausgegeben. Er stellt es am heutigen Mittwoch um 20 Uhr im Stadtteilladen Zielona Gora in Friedrichshain vor.
INTERVIEW PETER NOWAK
taz: Herr Weipert, Sie haben eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung von 1830 bis 1934 geschrieben. Warum dieser Zeitrahmen?
Axel Weipert: Damals entwickelte sich die Arbeiterbewegung in ihrer gewissermaßen klassischen Form: von den ersten Regungen bis zur weitgehenden Zerschlagung in der Nazizeit. Auch danach gab es noch kleine Widerstandszellen, aber als Massenbewegung wurde die Arbeiterbewegung erstaunlich schnell ausgeschaltet. Im Grunde müsste aber ein zweiter Band folgen – denn nach 1945 gibt es eine spannende Weiterentwicklung. Man denke an die Antifa-Komitees direkt nach dem Krieg, an die Wiedergründung der alten Organisationen und an die vielfältigen sozialen Bewegungen von Hausbesetzern und Mieterprotesten über die Friedensbewegung bis hin zu Erwerbsloseninitiativen.
Die Arbeiterbewegung wird immer mit den Großorganisationen wie SPD, KPD sowie den Gewerkschaften verbunden. Welche Rolle spielen diese Organisationen in Ihrem Buch?
Eine Geschichte der Arbeiterbewegung kann man ohne eine solche Partei- und Gewerkschaftsgeschichte nicht schreiben. Allerdings habe ich mich bewusst dafür entschieden, auch die spontanen Widerständigkeiten mit aufzunehmen – eben weil das oft vergessen wird. Erst beides zusammen ergibt ein Gesamtbild. Während spontane Proteste unmittelbar die Bedürfnisse der Menschen artikulieren, liegt die große Stärke der Organisationen darin, eine Bewegung auch über Zeiten schwacher Mobilisierung hinweg zu erhalten.
Sie beginnen Ihr Buch mit einer Protestbewegung, die unter anderem die Forderung aufstellte: „Und im Tiergarten roochen“. Was hat das mit der Arbeiterbewegung zu tun?
Bert Brecht hat mal geschrieben, man müsse für das Teewasser, den Lohngroschen und die Macht im Staat kämpfen. Widerstand fängt oft mit kleinen Dingen an. So wie in diesem Fall: Die Arbeiter wollten in ihrer spärlichen Freizeit ungestört rauchen dürfen. Das haben sie in der Revolution 1848 auch durchgesetzt.
Sie schreiben über Demonstrationen vor allem junger Erwerbsloser im Februar 1892, die von der SPD als „Tumulte“ abgelehnt wurden. Ähnlich wurde 1921 auf Proteste von Obdachlosen reagiert. Sind solche Distanzierungen ein Grund, warum man in der Geschichtsschreibung von diesen Kämpfen bislang wenig erfährt?
Mit Sicherheit spielt das eine Rolle. Erinnerung ist ja nicht einfach da, sie wird gemacht und weitergetragen – oder auch nicht. Mittlerweile betrifft dieses institutionalisierte Vergessen ja sogar die Geschichte der etablierten Großorganisationen. In Berlin gibt es seit einigen Jahren keinen Lehrstuhl für Arbeiterbewegungsgeschichte mehr – bedauerlich.
Sie berichten ausführlich über den militanten Widerstand gegen eine Zwangsräumung in Berlin, die Blumenstraßenkrawalle vor 140 Jahren. Wollen Sie mit Ihrem Buch auch Hintergrundwissen für die heutigen Bewegungen liefern?
Wenn mein Buch dazu dienen könnte, heutigen Aktiven Ideen, Mut und Selbstbewusstsein zu vermitteln, würde mich das natürlich freuen. Gerade die lokale Geschichte der eigenen Stadt oder des eigenen Kiezes ist dafür besonders geeignet – so wird Geschichte anschaulich.
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