piwik no script img

Von Camp zu Camp

„Bewaffnete Entwicklungshilfeist absurd“

AUS MASAR-I-SCHARIF UND KUNDUS MARCUS BENSMANN

Afghanistan hat neue Straßen, da kann der Taxifahrer ordentlich Gas geben. Aus dem Autoradio tönt der Bariton eines afghanischen Barden, mit 120 Sachen braust der gelbweiße Wagen über den glatten Asphalt durch das nördliche Afghanistan, immer am Kundusfluss entlang. Plakatwände am Highway werben für Mobiltelefone und warnen vor Opiumgenuss.

Vor drei Jahren waren die Verbindungsstraßen zwischen den Städten in Kundus, Pulichumri und Masar-i-Scharif für Passagiere und Fahrer noch eine Tortur. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hatte die von sowjetischen Ingenieuren gebauten Asphaltstraßen durch Nordafghanistan zu von Schlaglöchern und Bombentrichtern ausgehöhlten Pisten umgepflügt.

Während der Fahrer Gas gibt, telefoniert er ununterbrochen. Fünf Jahre nach dem Ende der Talibanherrschaft sind nach Afghanistan Mobilität und Kommunikation zurückgekehrt. Auf der Reise durch die nördlichen Provinzen sieht man, dass die Lage sich normalisiert. Einst verlassene Dörfer an den Frontlinien zwischen Kundus und Pulichumri sind wieder aufgebaut, die Bauern bestellen ihre Felder und Händler trotten hinter Kamelen und Eseln zum nächsten Marktplatz. Minenfelder am Straßenrand sind mit roten Fähnchen abgesteckt und werden vorsichtig von afghanischen Sprengstoffexperten entschärft. Die meisten ausgebrannter Panzerwracks, die über Jahre hier vor sich hin rosteten, sind als Altmetall nach China verkauft.

Solche zarten Anzeichen von Normalität im Norden soll die Bundeswehr im Rahmen der internationalen Schutztruppe Isaf schützen. Seit 2003 vom Bundeswehrstützpunkt in Kundus aus, ab Anfang Juni im neuen Lager in Masar-i-Scharif.

Mitten in der quirligen Stadt Kundus liegt das Isaf-Quartier in einer ehemaligen Gärtnerei. „Gepanzerter Schrebergarten“, nennt der Oberkommandierende des so genannten Regionalen Aufbauteams, abgekürzt PRT, Hans Werner Patzig das Lager. Zurzeit wird aber ein neues, größeres Lager außerhalb der Stadt gebaut.

„Unsere Aufgabe ist, durch regelmäßige Ausfahrten Präsenz zu zeigen und so Stabilität und Autorität der Zentralmacht zu stärken“, erklärt Patzig die Aufgabe des PRT. Außerdem hilft die Bundeswehr in den Dörfern: Schulen werden ausgebessert, Brunnen gebohrt. „Das schafft Vertrauen in der Bevölkerung“, erklärt Patzig.

Entwicklungshelfer sehen diesen Auftrag jedoch skeptisch. „Bewaffnete Entwicklungshilfe ist absurd“, sagt der Vertreter der Deutschen Welthungerhilfe in Kundus, Joachim Bönisch. Die Bundeswehr habe dazu weder die Möglichkeit noch die Erfahrung, gibt der Bayer zu bedenken. Man könne nicht in Afghanistan mit Schützenpanzern in ein Dorf einrollen und dann die Dorfältesten fragen, wo sie denn eine Wasserpumpe bräuchten. Die Provinz sei für afghanische Verhältnisse ziemlich ruhig gewesen. „Die PRT-Präsenz provoziert nun Angriffe und Anschläge“, erklärt Bönisch.

Erst vorgestern hat der katholische Militärbischof wegen der Unruhen im Norden seinen Besuch abgesagt. Ende Februar war im Stadtzentrum von Kundus neben drei Fahrzeugen der Bundeswehr eine Bombe auf einem abgestellten Fahrrad explodiert. Ein afghanischer Junge wurde getötet, ein Soldat leicht und zehn Afghanen schwer verletzt. Selbst die zufällige Nähe zu Bundeswehrsoldaten kann für Afghanen also lebensgefährlich sein. Die Fahrradbombe zielte auf eben jenes Vertrauen, das der Oberkommandierende Patzig in Nordafghanistan aufbauen möchte.

Trotz solcher Anschläge wird das Engagement der Bundeswehr in Nordafghanistan ausgeweitet. Das größte Lager der Bundeswehr außerhalb Deutschlands, Camp Marmal, wird gerade auf der Ebene östlich von Masar-i-Scharif errichtet. Die Flaggen Jordaniens, Großbritanniens, Norwegens, seit Oktober auch der Bundesrepublik wehen über dem internationalen Heerlager am Flughafen. In unregelmäßigem Abstand landen und starten hier unter ohrenbetäubendem Motorengrollen Transportflugzeuge und Passagiermaschinen. Der Staub zirkelt in der Luft, Kerosin sticht in der Lunge. Auf einem Asphaltplatz sind britische Soldaten in einem Rugbyspiel verkeilt. Ein Bautrupp der Bundeswehr gießt jenseits der Landebahn Fundamente in den lehmigen Grund, planiert Straßen und schraubt Wohncontainer zusammen. Von hier aus führt die Bundeswehr nun das Nordkommando der Isaf. Vom Camp aus, das viermal so groß sein wird wie das bisherige Bundeswehrhauptlager Camp Warehouse in Kabul, soll für Ruhe und Stabilität gesorgt werden.

Eine Mauer grenzt das Lager ein, nicht etwa um Attentäter abzuhalten, sondern um die Soldaten vor Sandfliegen und Malariamücken zu schützen. „Wenn die Afghanen ein Haus bauen, umzäunen sie auch zuerst das Grundstück“, erklärt Oberst Franke die Bauweise – die Insekten können nur bis zu einer bestimmten Höhe fliegen.

Die Bundeswehrsoldaten des Bautrupps sehen während ihres bis zu sechs Monate dauernden Dienstes in Afghanistan von dem Land am Hindukusch lediglich die Landebahn, die Baustelle und weidende Schafe. Der Ausgang nach Masar-i-Scharif ist untersagt. „Die Sicherheit der Soldaten geht vor“, erklärt der Oberst. Von dem regen wirtschaftlichen Leben in der Stadt werden sie nach ihrer Rückkehr nach Sachsen oder Westfalen nichts zu berichten haben.

Klapprige Autos russischer und japanischer Fabrikation, Handkarren und teure Geländewagen blockieren die Straßen. Lautes Hupen und Schreien erfüllt die Luft. Überall werden Häuser renoviert oder neu gebaut. Auf dem Geldmarkt tauschen die Händler die seit über vier Jahren stabile Währung Afghani gegen Euro und US-Dollar. Aufgeregt verhandeln sie in engen Büros über ihr Handy mit Dubai, London oder Berlin über Geld- und Warentransfers. Frauen in flatternden Burkas huschen über die Gehwege.

Feihdun kümmert sich ums Geschäft. Von einem fensterlosen Raum im mehrstöckigen Handelszentrum gegenüber dem Alischrein aus telefoniert er mit seinem Cousin in Dubai. Neue Computer für ein Internetcafé wolle er kaufen, sagt der 26-jährige Usbeke. „Es gibt wieder eine Perspektive.“ Über Politik will er nicht reden. Nur so viel: „Wir können nur Frieden haben, wenn die Regierung in Kabul hier im Norden wirklich wieder etwas zu sagen hat. Die Warlords repräsentieren die Vergangenheit, es wäre für uns alle gut, wenn sie verschwinden.“

Masar-i-Scharif war bis zur Eroberung durch die Taliban 1998 die weltlichste Stadt Afghanistans. Auch jetzt findet der Imam in der Moschee neben dem Alischrein kluge Worte zum Umgang mit den Europäern. “Allah ist so mächtig, dass er die Ehre des Koran und seines Propheten selbst zu schützen versteht, er braucht dazu uns Menschen nicht“, ertönt es zum Freitagsgebet aus den Lautsprechern des überfüllten Gebetshauses.

Der Schrein ist eines der wichtigsten Heiligtümer der Schiiten, in ihm sollen die Überreste des Neffen des Propheten aufgebahrt sein, der nach dem Tod Mohammeds im Nachfolgerkampf ermordet wurde und von den Schiiten als erster Märtyrer verehrt wird.

Nach wie vor beherrscht mit Mohamad Atta ein Veteran des Afghanistankrieges Masar-i-Scharif. Der hochgewachsene Mann mit einer Vorliebe für glänzende Anzüge und spitze Schuhe war einer der jungen „Löwen“ des legendären Mudschaheddinführers Achmad Schah Massud, der kurz vor dem 11. September 2001 ermordet wurde. Sein Bild hängt als Machtlegitimation Attas in Masar-i-Scharif an jeder Straßenecke.

„Unsere Aufgabe ist, durch Ausfahrten Präsenz zu zeigen“

Seit dem Sieg der Amerikaner über die Taliban ist Atta der Gouverneur der Stadt. Polizei und Verwaltung hat er mit seinen Gefolgsleuten besetzt, auf den Basaren der Stadt macht sich Unmut breit. „Atta nimmt alles, Atta gehört alles“, beschweren sich Händler und Kunden hinter vorgehaltener Hand.

Seine Gäste empfängt Atta sitzend auf einem blattgoldbelegten Barockstuhl, hinter sich ein Ölgemälde, auf dem zwei Hirsche auf einer Lichtung in die Dämmerung stieren. „Die Deutschen sind willkommen“, erklärt er großmütig und schlägt die Beine übereinander.

Auf die Frage zum Opiumanbau und -schmuggel zieht er gelangweilt seine Augenbrauen hoch. Ein Gehilfe reicht dem Journalisten eine Broschüre, in der Atta erklärt, er habe den Handel schon immer abgelehnt. Nächste Frage!

Das Verhältnis zu dem Usbekengeneral Raschid Dostum? „Weder gut noch schlecht, es gibt schlicht keines“, so die Antwort des Gouverneurs. Eine höfliche Umschreibung für eine Todfeindschaft. Dostum, wie Atta einer der Haudegen des Krieges, war einst Herrscher der Stadt und des nördlichen Afghanistans – bis ihn die Taliban ins Exil trieben. Der Sieg der Amerikaner brachte auch ihn zurück, jedoch nur vor die Tore der Stadt. Heute liegt sein Machtbereich eine Autostunde westlich von Masar-i-Scharif entfernt, von Sheberghan bis nach Maymanar.

Dostum hat offiziell die Waffen abgegeben, was immer das auch heißen mag. Er pendelt zwischen Kabul und dem Norden hin und her. Für die Zentralregierung bekleidet er die Funktion des Stabchefs, die ist jedoch eher zeremonieller Art. Solange Atta in Masar-i-Scharif sitzt, dient sich der Usbekengeneral dem Präsidenten Hamid Karsai in Kabul als treuer Verbündeten an. Aber Dostum hatte in seinem Leben schon viele Verbündete.

2002 war es schon einmal beinahe zum Krieg gekommen: Die Panzer Attas und Dostums standen sich am Westrand Masar-i-Scharifs gegenüber. Eine offene Schlacht konnte in letzter Sekunde verhindert werden.

Durch die Präsenz der Bundeswehrsoldaten soll die bisher noch uneingeschränkte Macht Attas und Dostums schrittweise aufgeweicht werden. Der junge Geschäftsmann Feihdun begrüßt die Stationierung der Deutschen in Masar-i-Scharif: „Wir achten und lieben die Deutschen sehr.“ Er schwärmt von deutschen Autos und Fußball. Aber er wünscht sich, dass sie endlich auch mal aus ihren Camps herauskommen. „Die Warlords verstehen nur die Sprache der Macht, sonst nichts“, sagt Feidhun.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen