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BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNERWer hat das bessere Milchmasthähnchen?

Natalie Tenbergs Gastro-Kritik: Der Frühsommer-Klassiker in Kreuzberg ist Huhn mit Krautsalat. In der Henne oder in der Kleinen Markthalle?

Das Restaurant Henne in Berlin-Kreuzberg wird gerne hoch gelobt. Das hier servierte Milchhuhn werde in Dänemark mit Molkepulver gemästet, weshalb es ganz einzigartig schmecken würde. Außen knusprig, innen zart, ganz einzigartig.

Leider ist der erste Eindruck, den die Henne macht, kein guter. Ein stickiges, dunkles Kabuff schäbiger Melancholie. Die anderen Gäste, rustikal vom Typ Aachener Maschinenbaustudent im Karohemd, stört es wenig. Ihnen schmeckt das leichte und süffige fränkische Bier trotz Zigarettengeruch und Fettmief in der Luft. An den Wänden hängen Fotos, die zeigen, wie der Henne die Berliner Mauer direkt vor die Nase gebaut wurde.

Lag das Lokal auch wirklich im Westen? Irgendwie schmeckt das Essen nämlich, wie man sich die Speisen im Ost-Berlin der 70er vorstellt: keine Auswahl, alles ein wenig zu trocken, zu lieblos.

Auch farblich ist die Henne, bis auf einige hübsche Bleiglaslampen, langweilig. Fleisch, Salat, Brot und Bier, alles ist in der Braun-gelb-Ecke des Farbspektrums zu finden. Oder schluckt der funzelige Gastraum jede Kolorierung?

Die vielen Stammgäste scheint das alles nicht zu stören. Im Laufe des Abends quetschen sich mehr und mehr Leute in die enge Stube. Irgendein geheimes Ass, das sich sicher erst nach 15 Jahren aufmerksamen Huhnverzehrs offenbart, muss die Henne nämlich im Ärmel haben. Sie überlebt gut gefüllt, obwohl ihre schärfste Konkurrenz genau vor der Nase liegt: die Kleine Markthalle. Auch hier gibt es das dänische Milchmasthuhn. Dass sich die Menüs der beiden Lokale ähneln, ist kein Zufall. Der Besitzer der Henne kaufte einst die Kleine Markthalle, als Ausweichmöglichkeit für seine zahlreichen Stammgäste. Dann aber stieß er sie wieder ab, was blieb, war das Essen. Das Aussehen der Karte ist beinahe gleich, genau wie die Präsentation der Speisen. Dafür ist die Auswahl ist in der Kleinen Markthalle größer – Fleischverweigerer müssen hier nicht nur Beilagen essen. Der Vorteil dieses Lokals liegt aber nicht im Kulinarischen, sondern darin, dass es sich hier einträchtig bei Bier und frischer Luft sitzen lässt. Die Tische sind sauber, der große, hohe Raum vermittelt Ruhe, das Personal ist nicht nur freundlich, sondern nett.

Zuletzt muss selbstverständlich jeder selbst wissen, wo er am Hühnerschenkel knabbern mag. Anstatt mich aber noch jahrelang über die Henne zu ärgern, bevor ich das Besondere entdecke, gehe ich doch lieber gleich in die Kleine Markthalle.

HENNE, Alt-Berliner Wirtshaus, Leuschnerdamm 25, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn Moritzplatz oder M 29, (0 30) 6 14 77 30, ab 19 Uhr geöffnet, Montag geschlossen, Halbes Huhn 6 €ĽKLEINE MARKTHALLE, Legiendamm 32, Berlin-Kreuzberg, (0 30) 6 14 23 56, ab 18 Uhr geöffnet, Halbes Huhn 5,60 €

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