: Ein EU-TÜV für Polen
Die heutige Homosexuellen-Parade in Warschau wurde dank internationaler Hilfe – auch von der Kanzlerin – erlaubt
AUS WARSCHAU JAN FEDDERSEN
Vor einem Jahr war er noch Bürgermeister der polnischen Hauptstadt, nun ist Lech Kaczyński Präsident des östlichen Nachbarn der Bundesrepublik. Und er profiliert sich politisch wie eh und je als ein ordokonservativer Tugendwächter, der jedwede Toleranz Homosexuellen gegenüber, so sie denn öffentlich sich selbstbewusst zeigen, nicht gelten lassen möchte. Unter seiner Ägide wurde in Warschau zweimal eine CSD-Parade verboten – jeweils mit dem Hinweis, die Teilnehmer an diesen, wie sie offiziell hießen, Märschen für Toleranz propagierten eine Lebensweise, die für öffentlichen Aufruhr sorge. In der Berliner Humboldt-Universität sprach er zu Jahresfrist unumwunden von der Nutzlosigkeit der Homosexualität als solcher – weil sie keinen Nachwuchs zeuge.
Es ist der polnische Zeitgeist, den der amtierende Präsident, gewählt von einer Allianz von Wendeverlierern, kulturellen Modernisierungslosern und katholoiden Eiferern, verkörpert: Kaczyński ist kein ideologischer Solitär. Voriges Jahr, als trotz des CSD-Verbots ein Umzug stattfand, wurde zeitgleich ein Aufmarsch der militanten altpolnischen Jugend erlaubt – CSD-Mitgänger wurden attackiert, darunter Grünenchefin Claudia Roth. Polen hätten, wird aus dem Umfeld konservativer Politiker erklärt, nichts gegen Homosexuelle – aber diese dürften das Land nicht zu einem Sodom und Gomorrha machen.
Dass dieses Jahr der CSD zelebriert werden kann, ist zunächst der wütenden Arbeit von Homosexuellen wie Tomasz Baczkowski zu danken. Gerade er warb in Berlin, dem Dorado für polnische Lesben und Schwule, um Hilfe. Und die sollte er erhalten, auch jenseits grüner Aktivitäten. Der vor kurzem gegründete Warschauer Pakt 2006, als dessen Schirmmenschen Holger Wicht von der Berliner Siegessäule sowie die TV-Promis Thomas Hermanns und Georg Uecker vorstehen, trommelt seit Ende April in Deutschland für eine Reise nach Warschau an diesem Wochenende, um, wie Uecker sagte, „diese Stadt einem EU-TÜV zu unterziehen“.
Anders als in der Bundesrepublik, wo ein CSD Teil eines postmodernen Lifestyles wurde, ist eine Demonstration für gleiche Rechte Homosexueller in Warschau eine echte Mutprobe – nicht Wattebäusche fliegen dort, sondern häufig Steine, wie bei der Attacke von Nationalisten vor Wochen in Moskau gegen eine Homoparade, bei der unter anderem der grüne Politiker Volker Beck verletzt wurde. Überraschenderweise wurde die CSD-Parade in Warschau nun vor einer Woche erlaubt – auch einigten sich Behörden wie Organisatoren des Umzugs auf eine andere, nicht minder öffentlichkeitswirksame Route. Zugleich wurde der Hassmarsch der Rechten nicht genehmigt: ein Sieg der liberalen Kräfte, auch aus dem Ausland. Und zu ihm mag auch eine Initiative der Bundeskanzlerin beigetragen haben.
In einem Brief an Thomas Birk, grüner Abgeordneter im Berliner Landesparlament, teilte das Kanzlerinnenamt mit, man nehme die Sorge um die Warschauer Demonstration ernst. Die dortigen Stellen wurden gebeten, diesen Sorgen Rechnung zu tragen. Wörtlich heißt es: Die Bundesregierung habe für die am „10. Juni in Warschau geplante Parade der Toleranz gegenüber der polnischen Regierung die Bedeutung der Sicherheit aller Teilnehmer unterstrichen. Die polnische Regierung hat versichert, dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zu schenken.“ Eine Geste, die umso dringlicher auf die polnische Nomenklatura gewirkt haben muss, als die deutsche Regierung nicht mehr, wie früher von Kaczyński, als „lediglich rot-grün“ abgetan werden kann.
Die Kulturwissenschaftlerin Bozena Choluj (siehe Interview) versteht die Wut auf Homosexuelle als Symptom. Sie seien die Sündenböcke für das Leid an den sozialen Verwerfungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Es sind Menschen, die als unpolnisch gelten, als unmännlich, einer Sexualität anhängen, welche nicht auf Reproduktion setzt und damit dem selbst gefärbten Bild vom Polen als gutem Katholiken, stets opferbereit und doch verfolgt, Schaden zufügt.
Und dies sind die Folgen: Nicht allein, dass eine queere Kneipe wie das „Le Madame“ nach einem Polizeieinsatz schließen musste, weil dort angeblich Pädophilie gefördert würde. Nicht nur, dass offen auftretende Schwule außerdem gewisser Viertel Warschaus ihr Land als No-go-Area nehmen müssen: Der neue Bildungsminister Roman Giertych von der rechtsradikalen Liga polnischer Familien fordert weiter, die Demo zu verbieten – was ihm misslang. In seinem Machtbereich, vielleicht ebenso gravierend, hat er am Donnerstag Miroslaw Sielatycki, den Leiter des Zentralen Lehrerfortbildungszentrums CODN, gefeuert. Giertych war zu Ohren gekommen, dass die CODN in ihren Medien Schulen ermuntere, sich mit Vertretern von Homoorganisationen zu treffen – was scherte es ihn, dass diese Veröffentlichung auch mit Geldern des Europarates finanziert wurde.
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