nebensachen aus kairo: In einer Wohngemeinschaft mit Hühnern lebt es sich gefährlich
7.000 Jahre Erfahrung haben die Ägypter gelehrt, den Autoritäten grundsätzlich zu misstrauen. Der Umgang mit der Vogelgrippe bildet da keine Ausnahme. Noch bevor das Virus im Land am Nil erstmals auftauchte, machte eine Karikatur die Runde. Zwei lebende Hühner stehen vor einem Haufen toter Artgenossen. „Vogelgrippe?“, fragt das eine Federvieh. „Nein, nein“, entgegnet das andere, „ein geistig gestörtes Küken hat zuerst seine Familie und dann sich selbst umgebracht. Kein Grund zur Aufregung.“
Eine Anspielung auf Anschläge, bei denen die Polizei anfangs behauptete, die Täter seien nicht militante Islamisten, sondern geistig gestörte Einzeltäter. Inzwischen sind fünf Menschen am Vogelgrippevirus verstorben, insgesamt 13 haben sich angesteckt. Damit ist Ägypten außerhalb Asiens das Land mit den meisten registrierten Todesfällen in Folge des Virus. Es ist die Mischung aus Armut und überforderten Behörden, die verhindert, dass die Lage kontrolliert werden kann. „Solange das Haus brennt, ist es schwer den Schaden einzuschätzen“, sagt Talib Murad Ali von der FAO, der UN-Behörde für Ernährung und Landwirtschaft. Sicher ist: Alle bisherigen Opfer lebten in armen ländlichen Gebieten. Etwa im Dorf Nawa im Nildelta, aus dem die 30-jährige Amal stammte, die erste Tote. Im Krankenhaus stritt sie Kontakt mit Geflügel ab. So stellten die Ärzte eine falsche Diagnose. Erst auf dem Sterbebett gab Amal zu, dass sie ihre Hühner heimlich unterm Bett hielt. Sie hatte Angst vor den gut 1.000 Euro Strafe, die bei illegaler Hühnerhaltung drohen.
Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. So kam ein Junge aus Niqbad mit Vogelgrippeverdacht in die Klinik. Auf dem Müllhaufen am Dorfrand fanden sich verendete Tiere. Dazwischen spielten Kinder. Im Kanal trieben Geflügelkadaver. „Wenn die Straße voller Kadaver ist und du das anzeigst, ignorieren sie dich entweder oder sie brummen dir eine Strafe auf, weil sie behaupten, du hättest die Hühner dort hingeworfen“, erklärt eine Anwohnerin ihre Untätigkeit.
Neben dem Erkrankungsrisiko zahlen die Armen einen weiteren Preis: „Es ist eine Frage der Nahrungssicherung“, so Murad Ali. „In Europa machte Geflügel vor der Vogelgrippe nur rund 20 Prozent des konsumierten Fleisches aus. In Ägypten bestand die Hälfte der Fleischnahrung aus billigem Geflügel.“ Bisher nahmen die Ägypter pro Kopf rund 19 Gramm Eiweiß zu sich. Murad Ali schätzt, dass dieser Wert seit der Vogelgrippe um gut ein Drittel gesunken ist. Wenn die Menschen in Europa Angst vor Geflügelfleisch haben, dann kaufen sie stattdessen ein Stück Rind oder Schwein. In Ägypten bleiben die Fleischtöpfe dagegen leer.
„Wenn es Fleisch bei uns gab, dann Huhn. Für zehn Pfund habe ich meinen Kindern eins nach Hause gebracht. Ein Kilo Rindfleisch kostet das Vierfache“, erzählt Muhammad auf einem der Kairoer Märkte, auf denen früher Lebendgeflügel verkauft wurde und dessen Käfige heute leer sind. Die Ägypter pflegten die Hühner lebend im Laden zu begutachten, bevor sie dort vor ihren Augen geschlachtet und gerupft wurden. Geflügel aus der Tiefkühltruhe meiden sie.
So bleiben für die Armen nur zwei Optionen. Ganz aufs Fleisch zu verzichten oder doch so manches Federvieh vor den Augen der Autoritäten zu verstecken und so zu tun, als ob sie die Vogelgrippe einfach nichts angeht.
KARIM EL-GAWHARY
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