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Zoff statt Rechtsfrieden

Sollten Freigesprochene abermals angeklagt werden, wenn neue Beweise sie belasten? Bei Mord ja, sagt die NRW-Justizministerin und will die Gesetze ändern lassen. Doch das Vorhaben ist umstritten

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) will den Rechtsstaat verändern – die Landesjustizministerin plant eine Bundesratsinitiative. Der Anlass: Weil neue Beweise einen 47-jährigen schwer belasten, will die ehemalige Richterin den mutmaßlichen Mörder wieder vor Gericht sehen. Das Problem: Der Mann wurde freigesprochen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Freigesprochenen sieht das Gesetz nicht vor.

Es war ein grausames Verbrechen. Im Dezember 1993 war die Angestellte einer Düsseldorfer Videothek tot an ihrem Arbeitsplatz gefunden worden. Die junge Mutter dreier Kinder wurde gefesselt, eine Tüte über den Kopf gestülpt und mit Packband umwickelt. Die Frau muss qualvoll erstickt sein. Für 650 Mark – die fehlten in der Kasse.

Obwohl Spuren am Tatort dem Angeklagten zugeordnet werden konnten, war das Gericht von der Schuld des Mannes nicht überzeugt. Anfang 1997 kam er auf freien Fuß. Zu Unrecht?

13 Jahre nach der Tat sieht viel danach aus: DNA-Spuren vom Tatort konnten ausgewertet werden. Sie finde es kaum erträglich, sagte Müller-Piepenkötter nun vergangene Woche vor dem Rechtsausschuss des Landtags, einen Freispruch bei Mord oder Völkermord nicht mehr korrigieren zu können, „obwohl nachträglich sichere Beweismittel die Täterschaft eindeutig belegen“.

Die Justizministerin schlägt daher vor, die Strafprozessordnung so zu ändern, dass bei Mord oder Völkermord die Wiederaufnahme eines Verfahrens möglich ist. Ihre Begründung: Mord und Völkermord seien die schwersten Verbrechen. Sie verjährten nie. Deshalb könne erst dann Rechtsfrieden eintreten, „wenn der Täter gefunden und einer gerechten Bestrafung zugeführt ist.“

Für Lutz Eisel, den Vorsitzenden der Strafverteidiger-Vereinigung NRW, ist die Argumentation unsinnig: „Ein Zeichen des Rechtsstaates ist, dass man sich auf formalistische Verfahren verlassen kann“, sagt der Rechtsanwalt. Wenn die Staatsanwaltschaft die Schuld zum Zeitpunkt des Verfahrens nicht beweisen könne, müsse sie dies akzeptieren. Alles andere würde sie als schlechten Verlierer dastehen lassen. „Außerdem ist es ein Unding, Gesetze wegen Fällen zu ändern, die höchstens einmal in zehn Jahren auftreten“, so Eisel. Der Jurist vermutet einen symbolischen Akt der „konservativen Justizministerin“. Mehr nicht.

Ähnlich sieht es auch der Düsseldorfer Rechtswissenschaftler Martin Morlok: „Da versucht die Politik, gut auszusehen.“ Wenngleich einiges dafür spreche, eine solche Änderung vorzunehmen. Für den Videothekenmord sei diese aber ohnehin unerheblich, da sie nicht rückwirkend gelte.

Auch ob es letztlich zu einer Eingabe an den Bundesrat kommt, ist fraglich. In der SPD-Landtagsfraktion weiß man noch nicht, wie man zu dem Thema steht. „Wir befinden uns in einem Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit“, sagt der Abgeordnete Thomas Kutschaty. Darüber werde in der Fraktion noch diskutiert. Robert Orth, FDP-Abgeordneter und Vorsitzender des Rechtsausschusses, hat große Bedenken gegen die Änderung der Gesetze. Es bestehe die Gefahr, dass der Staat künftig so viele Prozesse führe, bis die gewünschte Verurteilung vorliege. Deshalb werde er die Eingabe der Ministerin noch mal eingehend prüfen, sagt Orth.

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