: CDU-Verkehrsminister Wittke im Bahnchaos
Die Landesregierung lässt Hunderttausende Pendler im Regen stehen: Welche Busse und Bahnen künftig noch fahren, weiß zur Zeit nicht einmal Verkehrsminister Oliver Wittke. In dessen Ministerium herrscht „überall Verwirrung“
DÜSSELDORF taz ■ Die von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Milliarden schweren Kürzungen im Nahverkehr stürzen das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium ins Chaos. Selbst CDU-Landesverkehrsminister Oliver Wittke weiß derzeit nicht, welche Busse und Bahnen künftig fahren, welche Verbindungen ersatzlos gestrichen werden. „Es herrscht überall Verwirrung“, sagt Wittkes Sprecher Stephan Heuschen.
Grund sind unterschiedliche Szenarien, die seit der Bundesrats-Rede von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Freitag kursieren. War im Vorfeld immer von Kürzungen von 3,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010 die Rede, hatte der Finanzminister selbst von Einsparungen von 2,3 Milliarden Euro bis 2009 gesprochen – und den Ländern als Kompromiss angeboten, bis 2009 nur 1,8 Milliarden zu streichen. Unklar bleibt damit, ob im Jahr 2010 einer weitere Milliarde Euro wegfällt: „Das kann mir leider keiner sagen“, bleibt Wittkes Sprecher Heuschen ratlos.
Fraglich bleibt sogar, ob die Fahrgäste wenigstens von Steinbrücks Kompromissangebot profitieren. „Es ist nicht gesagt, dass die versprochenen 500 Millionen wirklich für die Aufstockung der Regionalisierungsmittel zur Verfügung stehen“, so Heuschen. „Der Bundesfinanzminister hat sich nicht festgelegt.“ Klar ist dagegen, dass schon in diesem Jahr Millionen Euro fehlen – dabei hängen die Fahrpläne längst, sind die Züge bei der Deutschen Bahn und privaten Bahnbetreibern gebucht. Für einen solchen Fall hatte der Landesverkehrsminister in der Vergangenheit immer vor völligem Chaos gewarnt. Er müsse dann „vertragsbrüchig werden“ – und bereits gebuchte Busse und Bahnen einfach wieder abbestellen, so Wittke.
Den Nutzern von Bus und Bahn droht damit eine Reise in Nichts: Umwelt- und Fahrgastverbände warnen seit Monaten, durch Steinbrücks radikalen Sparkurs werde jede fünfte Verbindung ersatzlos gestrichen. „Wittkes Verkehrspolitik ist ein Desaster“, sagt auch Oliver Keymis, verkehrspolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion. Christdemokrat Wittke hatte vergeblich versucht, die Kürzungen gemeinsam mit anderen Landesverkehrsministern zu verhindern.
Ein Nachspiel im Landtag wird auch das Bahnchaos der vergangenen Tage haben. Wittke müsse mehr Druck auf die Bahn ausüben, fordern die Grünen – und berufen sich auf taz-Berichte: Durch Oberleitungsschäden, Türstörungen, Böschungsbrände, Signalstörungen, „Personen im Gleis“ und defekte Reparaturwagen war der Bahnverkehr zwischen den WM-Standorten Köln und Dortmund wiederholt völlig zusammengebrochen. Auch die SPD will das Thema vor den Verkehrsausschuss des Landtags bringen.
„Die Fahrgäste haben einen Anspruch auf saubere und sichere Fahrzeuge“, sagt der grüne Verkehrsexperte Keymis. „Und den muss Verkehrsminister Wittke auch durchsetzen. Schließlich überweist das Land der Bahn jedes Jahr 770 Millionen Euro für einen leistungsfähigen Nahverkehr.“
Kurzfristig müsse Wittke ein Programm zur „Sicherstellung der Pünktlichkeit von Bussen und Bahnen“ vorlegen, so Keymis in seinem Eilantrag, über den das Landtagsplenum morgen debattieren wird. Außerdem soll der Minister erläutern, „welche Leistungsstreichungen und Taktausdünnungen“ auf die Fahrgäste zukommen. Wittke könne aber gegensteuern, sagt Keymis – etwa mit Landesmitteln aus der am Freitag ebenfalls beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung. ANDREAS WYPUTTA
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