Im israelischen Kibbuz sind Erziehung und Kinderbetreuung Aufgabe aller: Postsozialistische Gemeinschaftsidylle im Gelobten Land
taz-Serie: Elternzeiten anderswo. Teil VI: Israel. Deutschland führt 2007 Elterngeld ein. Die taz zeigt Familienpolitik weltweit. Zuletzt: Island, Japan, Dänemark
Für Kinder ist der Kibbuz ein Paradies. Autofreie Grünanlagen und Wäldchen, in denen man herrlich Verstecken spielen kann. Fußballplatz, Streichelzoo, Freibad. Im Kibbuz wissen israelische Mamas und Papas den Nachwuchs in freier Natur und guten Händen, wenn sie sich nicht kümmern können. Eine Geburtenrate von 2,4 Kindern pro Frau überrascht da wenig.
So wichtig die Kinder seit je im Kibbuz waren, so stand die Kindererziehung jahrzehntelang im Schatten der politischen und wirtschaftlichen Umstände. Beide Eltern wurden für die Bewachung der Kommune und für die Arbeit gebraucht. Auszeiten während und nach der Schwangerschaft waren nicht vorgesehen. Eine Woche nach der Geburt wurden die Babys der Obhut der Gemeinde übergeben. Tag und Nacht verbrachten sie in den Kinderhäusern. Abgesehen von den Stillzeiten kamen Mutter und Kind nur nachmittags für wenige Stunden zusammen. Erst vor 15 Jahren gab der letzte Kibbuz dieses System auf.
Heute kommen die Babys erst mit drei Monaten in die Kinderhäuser. Dort bleiben sie täglich acht bis neun Stunden, damit beide Eltern arbeiten gehen können. Dort werden sie in kleinen Gruppen betreut, die Erzieher sind gut geschult. Für knapp 500 Euro im Monat dürfen auch Kinder aus den benachbarten Städten und Dörfern kommen. Ein attraktives Angebot, denn außerhalb der Kibbuzim sind die Betreuungsmöglichkeiten rar, es gibt nur private Kindergärten oder Tagesmütter. Die (Vor-) Schulpflicht beginnt ab fünf. Und der Staat zahlt gerade mal 26 Euro Kindergeld fürs erste Kind, gut 52 Euro für das zweite.
Seit der Jahrtausendwende werden die Kibbuzim zunehmend privatisiert. Die Mitglieder müssen nicht mehr nur für die Gemeinschaftskasse wirtschaften, sondern beziehen auch ein gestaffeltes Gehalt je nach Aufgabe. Die älteren Kinder werden heute weniger in den wirtschaftlichen Prozess einbezogen als früher. Einst gehörte es zu den sozialistischen Grundsätzen, dass jedes Kibbuzmitglied seinen Beitrag leistet. Auch die Kinder. Stundenweise wurden sie auf die Felder, in die Kinderhäuser oder zum Tellerwaschen geschickt. Seit der Nachwuchs für seinen Dienst bezahlt werden muss, ist er kaum noch gefragt.
Übrig bleibt das Aufwachsen in einer Gemeinde, in der sich der eine um den anderen kümmert. So wird jedem Schulanfänger ein Teenager an die Seite gestellt. Dieser passt auf, dass der Stepke nicht den Bus zur Kibbuzschule verpasst, schaut, ob er Hefte und Butterbrot dabei hat, weist ihn auch mal zurecht, wenn er Blödsinn macht.
Ebenso wie die Kinderhäuser stehen die Kibbuzschulen auch Kindern von außen offen. Dass Kibbuz-Kinder umgekehrt auf externe Schulen gehen, ist dagegen die Ausnahme. Pluralismus in der Erziehung ist in den postsozialistischen Kommunen noch immer verpönt. SUSANNE KAUL
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