: In den Straßen von Kinshasa herrscht Panik
KONGO Bewaffnete greifen mehrere strategische Positionen an. Später verkündet die Regierung den Sieg über die „Terroristen“
AUS KINSHASA SIMONE SCHLINDWEIN
Panik bricht am Montagvormittag im Zentrum von Kinshasa aus. Zahlreiche Einwohner der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo waren gerade auf dem Weg zur Arbeit, als Schüsse durch die Straßen hallten. Die Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, und rennen davon.
Die ersten Salven ertönen aus der Richtung des Staatssenders im Stadtviertel Gombe. Ein paar Banditen hätten mit Macheten den Staatssender RTNC angegriffen und würden jetzt von der Präsidentengarde vertrieben, heißt es aus dem Informationsministerium, dem der Sender untersteht. Das werde bald vorbei sein. Da sei man zuversichtlich.
Doch nach einem spontanen Übergriff von ein paar Banditen sieht es nicht aus. Knapp eine Stunde später beginnen Feuergefechte am über 30 Kilometer entfernten internationalen Flughafen Ndjili. Dann hallen zwei gewaltige Explosionen aus der Richtung des Präsidentensitzes durch die Stadt. Kurz darauf wird rund um das Militärlager, in dem der Stabschef sein Hauptquartier hat, gekämpft. Die Angreifer hätten im Staatssender Journalisten als Geiseln genommen, sagt Oberst Mwana Mputu, Sprecher der Polizei in Kinshasa.
Voller Angst hasten die Menschen nach Hause oder verstecken sich in Gebäudekomplexen hinter hohen Mauern. Überall klingeln Telefone. Jeder versucht, seine Angehörigen zu erreichen: „Schließt die Tür und versteckt euch“, schreit die Kassiererin im Supermarkt ihren Kindern zu Hause via Telefon zu. Ihre Hände zittern, als sie dem nächsten Kunden das Wechselgeld überreicht.
Dann beginnt sie zu weinen. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, als die Einwohner Kinshasas während den Präsidentschaftswahlen 2011 wochenlang unter Dauerstress litten, das Militär über die Boulevards patrouillierte und nächtliche Schüsse zu hören waren. Krisen wie diese legen stets das ganze Leben lahm. Die Geschäfte sind geschlossen, man kann nicht zur Arbeit gehen, es gibt kein Geld und damit kein Essen auf dem Tisch.
Bislang konnte man sich in der 15-Millionen-Stadt Kinshasa im Westen des Landes sicher sein, dass der Krieg über 2.000 Kilometer weit weg im Osten wütet. Jetzt hat die Staatskrise auch die Hauptstadt im Griff. Und auch in der Provinzhauptstadt Lubumbashi im mineralienreichen Katanga wird geschossen, laut ersten Informationen ebenfalls rund um das Militärlager.
Die Krise entzündete sich einige Tage, nachdem an der Spitze von Polizei und Geheimdienst Positionen umbesetzt wurden. Polizeichef General Charles Bisengimana wurde jetzt offiziell in seinem Amt bestätigt, das er bislang nur übergangsweise innehatte. Sein Vorgänger General John Numbi wurde 2010 angeklagt, den Mord an Kongos berühmtesten Menschenrechtler Floribert Chebeya, Direktor der Organisation La Voix des Sans Voix (Stimme der Stummen), in Auftrag gegeben zu haben. Daraufhin wurde er suspendiert. Er wurde nie vor ein Militärgericht gestellt, weil er einen höheren Rang hatte als der Militärrichter. Doch seit Freitag war klar, dass er nicht wieder auf seinen alten Posten zurückkehren wird. Das scheint vielen in der Hierarchie sauer aufgestoßen zu sein.
General Numbi stammt aus Katanga, der Heimatprovinz des Klans um Präsident Joseph Kabila. Die Katanger besetzten schon immer die hohen Posten in Militär, Polizei und Geheimdienst.
Der neue Polizeichef Bisengimana ist ein Tutsi aus dem Ostkongo, der als Kabila-treu gilt. Aber die Stimmung im Land ist nach dem Krieg im Osten äußerst Tutsi-feindlich. So gingen auch nach den ersten Schusswechseln wilde Gerüchte um, die Tutsi würden in Kinshasa einen Staatsstreich anzetteln. Vielleicht stecke auch General Numbi dahinter, aus Protest, dass er seinen Posten verloren habe.
Auch in der Militärhierarchie kriselt es. Ein Machtkampf zwischen Stabschef General Didier Etumba und dem Chef des Heeres, General François Olenga, soll im Gange sein. Auch der nach dem Fall von Goma suspendierte Heereschef Gabriel Amisi alias TangoFour solle etwas im Schilde führen, heißt es aus Sicherheitskreisen. In Botschaften und im UN-Hauptquartier finden derzeit Krisensitzungen statt.
Drei Stunden nach den ersten Schusswechseln beruhigt sich die Lage in Kinshasa wieder. Informationsminister Lambert Mende wendet sich im Radio und Fernsehen an die Öffentlichkeit: Die Bevölkerung solle ihr normales Leben weiterführen, die Situation sei unter Kontrolle. Es sei eine „Aggression von Terroristen“ gewesen. Man habe drei Gefangene gemacht und rund 40 „Terroristen“ erschossen.
Doch so recht wollen die Leute der Ruhe nicht trauen. Kongos größte Brauerei Bralima will ihre Händler losschicken, um Bier auszuliefern. Fast hundert Männer brüllen und toben im Innenhof. Sie weigern sich. Es sei nicht sicher auf den Straßen. Erst als die Polizei eine Patrouille bereitstellt, beruhigen sie sich und steigen in ihre Lastwagen.
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