piwik no script img

20 Anrufe, zwei Hinweise

Sieben Wochen nach Einrichtung ihrer Zwangsprostitutions-Hotline ziehen Diakonisches Werk und Caritas eine positive Zwischenbilanz. Nicht wegen der paar Anrufe im Call-Center in Bremen. Sondern, weil das Thema öffentliche Aufmerksamkeit bekam

„Infotelefon der Diakonie, guten Tag.“ Die Telefonistin ist freundlich, das Wort „Zwangsprostitution“ kommt ihr nicht über den Mund. Auch wenn sie an ebenjener Hotline sitzt.

Ein Backsteinbau in Bremen-Gröpelingen. Eine Handvoll PCs, Rund-um-die-Uhr-Betrieb. „Qualifizierte Kräfte aus dem sozialen Bereich“, preist ServiceCall-Geschäftsführer Michael Schnepel seine MitarbeiterInnen, zwischen 1.000 und 3.000 Anrufe nehmen sie pro Tag entgegen: ungewollt Schwangere, die nach der nächsten Beratungsstelle fragen, Pflegebedürftige, die Außer-Plan-Hilfe brauchen, Firmen, deren Internetseite klemmt. Und seit Mai auch Prostituierte, Freier, PassantInnen, die Hinweise auf Zwangsprostitution loswerden wollen oder selbst deren Opfer geworden sind.

Doch die 01802-331333, das bundesweite „Info- und Hilfetelefon Zwangprostitution“ von Diakonischem Werk und Caritas-Dachverband, wie die Hotline offiziell heißt, ist eine eher selten gewählte Nummer. 20 Anrufe insgesamt zählte Projektleiterin Diana Kunze seit Start des Angebots im Mai, 90 Prozent davon keine Notrufe, sondern eher das Gegenteil davon: Menschen, die Infomaterial zum Thema verteilen wollen, die Hilfe anbieten, Journalisten, die wissen wollen, ob die Hotline denn große Nachfrage erfahre.

Zwei der Anrufe aber waren echte Hinweise. Ein Sicherheits-Mitarbeiter eines Bahnhofs, der seinen Chef mit Menschenhändlern unter einer Decke vermutete. Und eine Passantin aus Dachau, die berichtete, wie Frauen an den Haaren und offensichtlich gegen ihren Willen in ein Auto gezerrt worden waren. In beiden Fällen hat die Polizei inzwischen Ermittlungen aufgenommen.

Zwangsprostituierte selbst, Opfer also, haben noch keine angerufen. Was auch damit zusammenhängen könnte, dass sie nicht unbedingt gerade die Hotline-Nummer des Diakonischen Werkes zur Hand haben. Oder damit, dass keine russische Version des Info-Plakats existiert.

Angesichts der prophezeiten zigtausend zusätzlichen Zwangsprostituierten zur WM „mag das auf den ersten Blick ein wenig enttäuschend rüberkommen“, sagt Kunze zur Anruf-Statistik. Doch: „Eine Nummer ist das Eine, das Andere ist, das Thema in die Köpfe zu bekommen.“ Und beim Ziel, Freier zu sensibilisieren, „da sind wir schon ein Stückchen vorangekommen.“ sim

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen