: „Plötzlich sind wir Gastgeber“
Filmemacher Neco Çelik glaubt nicht an einen neuen Patriotismus der Deutschtürken. Umso mehr freut er sich über ihre WM-Euphorie. Aber was passiert, wenn Deutschland heute gegen Schweden rausfliegt?
INTERVIEW SUSANNE LANG
taz: Herr Çelik, was ist bloß in den türkischen Communities passiert?
Neco Çelik: Ja, unglaublich! Ich bin auch überrascht. Bei der letzten WM war es völlig normal, für die Türkei zu sein – aber das fühlt sich weit weg an. Wahnsinn, wie alle für Deutschland jubeln.
Woher kommt die plötzliche Begeisterung?
Ich glaube, das liegt an Jürgen Klinsmann. Dieser Mann strahlt eine Sympathie aus, die sogar den Türken auf der Straße erreicht. Rudi Völler verkörperte noch den Deutschen von nebenan, die Mannis oder Kalles. Deshalb fanden ihn die Deutschen ja so toll. Türken dagegen hatten das Gefühl: Der kann uns nicht repräsentieren. Bei Klinsmann ist das anders.
Womit spricht er denn die Türken an?
Er ist ein Held, der sich gegen die Reaktionäre beim Deutschen Fußballbund erhoben hat, der in Kalifornien lebt und sein Ding macht, der den Kahn vom Thron gestoßen hat …
… die ewige Torwart-Eins Oliver Kahn, der ja auch für den Urteutonen steht?
Unter anderem, ja. Aber Kahn steht auch für etwas, das absolut nicht zu ändern war. Bis Klinsmann kam. Genauso wie er Odonkor hervorgeholt hat, also den jungen Leuten und den Migrantenkindern eine Chance gab.
Das ist schon die Erklärung für all die Fähnchen an Döner-Buden und Autos?
Nicht nur. Entscheidend ist, dass die WM in Deutschland stattfindet und die Immigranten sich plötzlich als Gastgeber fühlen.
Warum lachen Sie? Weil Türken schon immer die besseren Gastgeber waren?
Ja, das ist ein wenig absurd. Aber schön. Auch Deutschtürken fühlen sich angesprochen von dem Motto „Zu Gast bei Freunden“, und das ja zu Recht. Selbst wenn wir uns lieber lokal definieren – ich bin eben Berlin-Kreuzberger – repräsentieren wir ein anderes Deutschland. Und das aus eigenem Selbstbewusstsein heraus, nicht weil es jemand angeordnet hätte.
Welches Interesse haben denn die Jugendlichen, etwa auch die gute Gastgeberrolle?
Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass sie jetzt Deutschlandfähnchen an ihre aufgemotzten BMWs stecken – und davon nicht nur eine oder zwei. Ich glaube, das ist eher ein Trendphänomen. Nach dem Motto: Ah, Ali hat eine Fahne, dann will ich auch.
Mit Nationalgefühl hat das Ganze demnach nichts zu tun.
Nationalismus spielt keine Rolle.
Was halten Sie von den Interpretationen, dass das ein Zeichen des Integrationserfolges sei?
Ach, Blödsinn. Das Schlagwort Integration, das ist eh für den Arsch. Die Politiker haben vierzig Jahre nichts dafür getan. Dabei könnten Türken hier Berge versetzen, man muss sie nur ansprechen. Das passiert bei der WM.
Bleibt denn das Selbstbewusstsein?
Was dafür spricht, ist die Motivation: Ich mache es einfach, weil ich es will, nicht weil ich muss. Und ich mache es auf meine Art, mit meiner Kultur.
Dann könnte auch bald der erste deutschtürkische Spieler im Nationalteam sein?
Vielleicht ja. Die zweite Generation, die Eltern der nun jungen Talente, sind auch liberaler.
Es liegt an den Eltern?
Auf jeden Fall liegt es mehr an uns als an den Deutschen. Ich drehe gerade einen Film über ein türkisches Talent, das vor dem Dilemma steht, in die Türkei abgeworben zu werden, aber hier verwurzelt ist. Die Frage, warum von drei Millionen fußballverrückten Türken, die hier leben, kein einziger im Nationalteam spielt, beschäftigt mich seit der letzten WM.
Wie ist Ihre Antwort?
Es liegt an dem Gastarbeiter-Trauma der Eltern und deren Eltern, an dem Gefühl, schlecht behandelt worden zu sein und nicht hierher zu gehören. Und plötzlich sind ihre supertalentierten Kinder gefragt – das benutzen sie jetzt quasi Rache: Unser Sohn spielt für die Türkei.
Aber mit der WM steigt das Zugehörigkeitsgefühl?
Ob sich bei den Vätern so schnell etwas ändert, weiß man nicht. Da gibt es einen gewissen Opportunismus: Wenn es um Fußball geht, sind sie völlig nationalistisch, ansonsten fühlen sie sich hier heimisch. Deshalb muss man auf türkische Väter anders zugehen, das müssen deutsche Talentscouts lernen.
Wie denn?
Sie müssen ihr Herz ansprechen.
Ans Ehrgefühl appellieren?
Ja, im Sinne von: „Wir würden uns geehrt fühlen, wenn ihr für uns spielen würdet, wir brauchen euch.“ Aber das macht ja der Deutsche ungern. Hier erwartet man, dass der Vater zum Talentscout geht und bettelt. Das passiert bei Türken niemals, sie sind viel zu stolz. Aber der türkische Talentsucher, der kriecht dem Vater so in den Arsch, dass er den Sohn gleich dreimal übergibt. Ich hätte mir gewünscht, dass es die deutschen Scouts bei Nurie Sahin oder den Altintop-Brüdern so gemacht hätten, dann sähe das deutsche Nationalteam anders aus.
Welche Rolle spielen die Mütter bei diesen Entscheidungen?
Fußball ist schon eine Männerangelegenheit, aber man muss immer sehen, dass die Mütter in der zweiten Generation, die hier ihre Ausbildung gemacht haben, einen anderen Status haben. Sie legen Wert darauf, dass der Junge hier eine Ausbildung macht. Da denken sie eher deutsch. Aber wenn es darum geht, den Mann zu überzeugen, gibt es Streit.
Und die Jungs haben dabei gar nichts zu sagen?
Naja, sie wollen Fußballstars werden, um ein Held zu sein. Für die Einwandererkinder hier wiegt es doppelt, wenn sie im türkischen Nationalteam spielen. Denn dann sind sie auch ein Held für ihre Familie hier, für ihre Jungs auf der Straße.
Wieso holt man die Jungs denn nicht in den lokalen deutschen Vereinen ab? Dann könnten sie auch hier Helden sein?
Das frage ich mich auch. Es gibt abertausende Talente hier in den Clubs, die den Sprung in die Profiliga nicht schaffen. Jeder weiß, im Jugendbereich von Hertha zum Beispiel sind 80 Prozent der Spieler türkischstämmig, aber bei Hertha kommt nie was an – außer jetzt Malik Fathi. Das ist unglaublich.
Woran liegt das?
Viele geben auf, weil sie auf Typen und Strukturen treffen, die reaktionär und rassistisch sind. Sie fühlen sich verloren und ausgegrenzt. Das kenne ich selbst von meiner eigenen Karriere.
Als Fußballspieler?
Ja. Ich habe zwar keine gemacht, aber ich hätte es weit bringen können. Das Problem fing schon damit an, dass von uns acht türkischstämmigen Stammspielern beim FC Südring kein einziger Vater zu den Spielen kam. Deprimierend.
Warum war Ihrer nicht da?
Für ihn war das eine fremde Welt, er gehört auch zur ersten Generation der Einwanderer. Für gewöhnlich waren unsere Rollen auch vertauscht: Ich war es ja, der ihn zum Arzt begleitet und für ihn übersetzt hat. Aber das ändert sich jetzt, in der zweiten Generation. Und sicher hilft dabei auch die WM-Euphorie.
Für wen sind denn die Deutschtürken, wenn Deutschland ausscheidet?
Für niemanden. Das ist nicht wie bei Deutschen, die alle in brasilianischen Flaggen rumlaufen. Das hat so etwas opportunistisches: immer für den Sieger.
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