DORIS AKRAPLEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Der Denunziant ist immer der Nachbar
Die Eichmanns, eine nette Familie, Mohammed Atta, ein fleißiger Student, und jetzt die Murphys, die ihre Hortensien im Vorgarten pflegten. Das sollen russische Spione sein? „Nein, das glaube ich nicht“, sagen die amerikanischen Nachbarn der Murphys in Montclair, New Jersey. Sorry, liebe Nachbarn, aber so wie der Gärtner immer der Mörder ist, so ist auch der Nachbar immer der Denunziant.
Hinter den weißen Gardinen der Kleinbürger, davon erzählen TV-Krimi-Serien weltweit, verbirgt sich entweder die größte Sauerei oder die permanente Schnüffelei. Was schließlich wären Polizei und Verfassungsschutz ohne „sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung“?
Dass die vermeintlichen russischen Spione in den USA veraltete Technik benutzten und stümperhaft arbeiteten, ist indes auch kein Hinweis auf den verrostenden KGB. Mit welchen stümperhaften Methoden beispielsweise der britische Geheimdienst arbeitet, kann man im gerade erschienenen Buch „MI 5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes“ (Propyläen 2010) von Christopher Andrews nachlesen – die diversen „Pannen“ des BND allein in Afghanistan dürften bekannt sein.
Kein Grund also, sich über das langweilige Kleinbürgerleben der in der letzte Woche in den USA festgenommenen angeblichen russischen Spione zu wundern. Mit Ausnahme von Ana Chapman, der rothaarigen „Femme Fatale“ mit Loft, Laptop und Lotterleben in Manhattan, waren die anderen acht Festgenommenen unscheinbare Vorstadtbewohner. Kalter Krieg?
So ein Quatsch! Die Murphys aus Montclair, der Reisebüroangestellte in Virginia oder der Unternehmensberater in Cambridge, sie scheinen schlichtweg den pursuit of happiness mit Eigenheim, Garten, Hund, Kindern und Festanstellung verfolgt zu haben. Und um sich diesen American Dream zu erfüllen, nutzten sie anscheinend den Nebenjob, der ihnen vom russischen Geheimdienst angeboten wurde. Der beste Agent ist immer noch der Kleinbürger.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz Foto: privat
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