: Die deutschen Überflieger
DIE EINZELKRITIK Gegen Argentinien zeigt die deutsche Mannschaft ein fast perfektes Spiel: schön, effizient und nahezu weltmeisterlich
MANUEL NEUER
Schönheit: Sah super aus. Das kanariengelbe Ganzkörper-Outfit korrespondierte nicht nur modisch perfekt mit dem eleganten blauen V-Neck seines Trainers, sondern es zog auch die argentinischen Schussversuche mit nahezu magischer Kraft an.
Effizienz: Ließ trotzdem manchen Schuss fallen. Aber geschickterweise stets dorthin, wo kein Argentinier stand.
Weltmeisterlich? Bedingt, weil nicht unbedingt damit zu rechnen ist, dass auch die nächsten Gegner immer nur genau ins Gelbe treffen.
PHILIPP LAHM
Schönheit: Ließ vor Anpfiff die Schönheit der deutschen Sprache hochleben, als er jeder Art von „Rasismus“ (sic!) den Kampf ansagte. Spielte danach schnörkellos, präzise und zuverlässig – eben wie eh und je. Puristische Eleganz!
Effizienz: Demonstrierte mit einer einzigen lässigen Geste, dass er der Chef ist, als er mit Ball am Fuß seine Kapitänsbinde zurechtrückte. Ansonsten auch und gerade im Unterlassen von Alphatiergehabe höchst effizient, führte seine Mannschaft souverän und mit minimalem Aufwand.
Weltmeisterlich? Unbedingt und zweifelsohne, das war Philipp Lahm einfach schon immer.
PER MERTESACKER
Schönheit: Der Job des schlacksigen Abwehrrecken ist es eigentlich, Schönheit zu unterbinden. Wie ihm das gegen Argentinien glückte, war jedoch auch schön anzusehen.
Effizienz: Schon fast so gut wie das neue Role Model der Abwehr: Arne Friedrich.
Weltmeisterlich? Bedingt, weil er Arne Friedrich, dessen Lehrmeister er eigentlich sein sollte, eben immer noch bisweilen hinterherhinkt. Nach dessen Vorbild müsste er jetzt auch noch ein Tor schießen.
ARNE FRIEDRICH
Schönheit: Schön ist, was gefällt. Und gefällig ist Friedrichs Spiel, na ja, irgendwie schon. Hinten räumt er ab, und vorn ist er als Torschütze besser als die Stürmer Cacau, Kießling und Gomez. Wer hätte das gedacht! Es ist sein Turnier. Sein Marktwert steigt täglich.
Effizienz: Effizient ist, was hinten bei rauskommt. Beziehungsweise: hinten nicht reingeht. Die deutsche Verteidigung hat in fünf Spielen gerade mal erst drei Treffer kassiert. Macht einen Schnitt von 0,6 pro Partie. Das ist effizient. Das ist gut.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil Friedrich seine Saison der Enttäuschungen bei Hertha BSC weggesteckt hat wie ein Weltmeister.
JEROME BOATENG
Schönheit: Der Offensivdrang des 21-Jährigen ist bisweilen unwiderstehlich.
Effizienz: Diese lässt in seinem Kerngeschäft, der Abwehrarbeit, allerdings bisweilen etwas zu wünschen übrig. Wenn die Argentinier eine Lücke fanden, dann meistens auf der linken Abwehrseite des gelernten Innenverteidigers.
Weltmeisterlich? Bedingt, weil die Gegner vor allem sein Revier im Auge haben werden, um Deutschland zu besiegen.
SAMI KHEDIRA
Schönheit: Sein schwarzes Stirnband harmonierte geradezu unheimlich mit dem gleichfarbig schillernden DFB-Trikot, während sich Martin Demichelis ebenfalls dunkler Haarbändiger böse biss mit dem argentinischen Weiß-Blau.
Effizienz: Stellte im Verbund mit Schweinsteiger Messi ruhig. Oder genau dorthin, wo der nur den gelben Neuer treffen konnte. Musste dazu noch nicht mal so viel laufen wie sonst.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil einer muss den Dreck raustragen und dabei gut aussehen.
BASTIAN SCHWEINSTEIGER
Schönheit: Wenn dieses Wort nicht inzwischen einen tragischen Beiklang hätte, müsste man sagen: Dieser Mann weiß sich brasilianisch-elegant im gegnerischen Strafraum durchzusetzen – fast schwebend seine Ballbehandlung, grotesk luststeigernd seine Art, Friedrich den Ball aufzulegen. Ein Apoll!
Effizienz: Ein Kämpfer gegen jeden auf allen Rasenfleckchen. Er beweist, dass Körperintelligenz sehr ausbaufähig ist – was dem Tempo, also dem Output seines Spiels eine fast maschinelle Note gibt.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil er noch Reserven hat.
MESUT ÖZIL
Schönheit: Die bekanntlich immer von innen kommt und sich außen zeigt – das ist dieser Gelsenkirchener Tänzer in beinah uneitelster Weise. Er hat so viel gutes Karma in sich, dass er aus jeder Pore das Spiel zu antizipieren weiß.
Effizienz: Gelegentlich scheint er seinen Kollegen allzu intelligent – aber er deprimiert sich nie selbst, er kann sich darauf verlassen, dass seine Leistung, auch wenn sie sich nicht in Gänze realisiert, verstanden wird.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil er hungrig ist und diesen Monsterappetit klug zu dosieren weiß.
LUKAS PODOLSKI
Schönheit: Diesmal mehr effizient als schön (-> Effizienz).
Effizienz: Viel weniger egoistisch als in den Spielen zuvor. Bestritt in diesem Spiel mehr Zweikämpfe als in der ganzen Saison beim 1. FC Köln – und gewann die meisten auch noch. Trotzdem reichte es für eine Torvorlage.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil wer gegen Bochum oder Freiburg nicht trifft, muss dann halt gegen Spanien und Holland treffen.
THOMAS MÜLLER
Schönheit: Ein weiterer unansehnlicher Auftritt. Fiel vor dem Spiel bereits mit zwanghaftem Augenflackern auf, nach dem Spiel dann mit Haaren in Unordnung und Wortfindungsstörungen. Dazwischen prallte ihm ein Ball an den Kopf (1:0), spielte er Pässe im Sitzen und schaffte es nie, sich konsequent an seine Position zu halten. Sah alles sehr interessant aus, hatte aber mit Fußball nur bedingt zu tun.
Effizienz: Brauchte nicht mehr als 84 Minuten, um in ganz Deutschland für „lauter traurige Gesichter, schlechtes Wetter und abhandenes Grillfleisch“ (Müller nach dem Spiel) zu sorgen. Effizienter geht es nicht.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil er nach abgesessener Gelbsperre im Finale wieder jene Kombination aus Anarchie und Konzeptkunst auf den Platz bringen wird, die kein Gegner auch nur im Ansatz versteht.
MIROSLAV KLOSE
Schönheit: Feierte nach dem 4:0 sein persönliches äußeres Volksfest, als er seit gefühlten 70 Jahren zum ersten Mal zu einem Jubelsalto ansetzte, den er auch formvollendet stand. Beautiful!
Effizienz: Hat für seine 14 WM-Tore 18 Spiele gebraucht, Gerd Müller schaffte die gleiche Anzahl in nur 13 Spielen. Definitiv steigerungsfähig, zumal er aus dem Pass von Tomas Müller (24.) ein Tor hätte machen MÜSSEN.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil er wieder weiß, wo sich das gegnerische Tor befindet.
JOACHIM LÖW
Schönheit: Das aparte deutsche Spiel färbte erstmals auch auf sein Gesicht ab. Löw wirkte sichtlich gelöst nach der Meisterleistung seines Teams. Sein blauer V-Neck korrespondierte übrigens hervorragend mit dem kanariengelben Dress von Neuer.
Effizienz: Bestens. Er führte seinem Team die Schwachstellen der Argentinier so plastisch vor Augen, dass dieses mit chirurgischer Präzision jede kleine Schwachstelle des Topfavoriten ausfindig machte.
Weltmeisterlich? Unbedingt, weil sein Konzeptfußball bei dieser WM unerreicht ist. Jetzt muss nur noch höchste Konzentration angemahnt werden. Aber das kann er ja.
DZY, JAF, JOK, MV, TO, WEH
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