: „Diese Dimension ist erschreckend“
200 Sportler könnten von den Doping-Vorwürfen betroffen sein, sagt Experte Wilhelm Schänzer. Ullrichs Ausschluss ist „konsequent“
taz: Herr Schänzer, Sind Sie überrascht über die Suspendierungen Jan Ullrichs und der anderen Fahrer?
Wilhelm Schänzer: Ein bisschen schon, denn vor allem Jan Ullrich hat immer seine Unschuld beteuert. Wenn aber sein Rennstall T-Mobile Unterlagen hat, die beweisen, dass er gedopt hat, dann ist der Ausschluss konsequent. Man muss abwarten, was wirklich dran ist an den Beschuldigungen, bis dahin muss man Ullrichs Unschuldsbeteuerungen eigentlich Glauben schenken.
Hätte man nicht mit der Suspendierungen warten müssen, bis richtige Beweise vorliegen?
Das ist schwer zu sagen. Soweit ich weiß, gibt es eine Liste der Staatsanwaltschaft, auf der 58 Sportler stehen sollen, die mit dem Arzt Eufemio Fuentes in Verbindung standen. Ich denke, T-Mobile versucht sich im Augenblick abzusichern und zu zeigen, dass sie eine klare Position gegen Doping haben. Und wenn sie den Eindruck haben, dass Ullrich ihnen doch nicht so ganz reinen Wein eingeschenkt hat, kann ich das schon verstehen. Man muss nun die Blutkonserven, die offenbar gefunden wurden, mit dem Blut der Fahrer abgleichen.
Ist die Ausschluss-Welle ein Zeichen für ein Umdenken im Radsport?
Ich habe gedacht, das Umdenken sei schon nach dem großen Tour-Skandal 1998 eingeleitet worden. Es ist beängstigend, dass offenbar so viele Sportler von diesem Arzt mit Doping-Substanzen versorgt worden sind. Man redet momentan von rund 200 Sportlern, die involviert sein sollen, nicht nur der Radsport ist betroffen. Das ist eine Aktion im großen Stil. Dass man nun von staatlicher Seite eine so umfangreiche Untersuchung gemacht hat, ist deshalb begrüßenswert.
Diese Ausmaße übertreffen also auch die Erwartungen eines Doping-Forschers?
Dass Doping in kleinen Gruppen immer wieder angewendet wird, ist klar. Das hier jedoch hat eine ganz neue Dimension. Ja, es ist auch aus meiner Sicht erschreckend.
Was genau wird Jan Ullrich eigentlich vorgeworfen?
Man geht davon aus, dass Blutproben von Sportlern in dem spanischen Doping-Labor gelagert worden und mit Namen versehen worden sind. Dieses Blut soll zwecks Blutdoping abgenommen und konserviert worden sein.
Und was soll das bringen?
Das Blut wird vor dem Wettkampf dem Körper wieder zugefügt. Dann hat man ein größeres Blutvolumen, mehr rote Blutkörperchen. Es kann mehr Sauerstoff transportiert werden, und es kommt zu einer Verbesserung der Ausdauerleistung. Eigenblut- sowie Fremdblutdoping funktioniert ähnlich wie Epo-Doping.
Aber Eigenblutdoping kann man nicht nachweisen?
Nein, es gibt keinen Nachweis. Man könnte höchstens die Blutwerte der Sportler regelmäßig testen, um Auffälligkeiten festzustellen. Fremdblutdoping hingegen ist nachweisbar.
Würde nur Eigenblutdoping betrieben, könnten Sie Ihr Labor schließen und Dopingfahndung der Polizei überlassen?
Im Grunde ja. Eigenblutdoping kann man nur durch sichergestelltes Beweismaterial aufdecken.
Haben Sie jetzt noch Lust, die Tour zu verfolgen?
Ich habe jetzt erst mal Lust, Fußball zu gucken. Sicherlich ist dieser Reiz, der Zweikampf zwischen Basso und Ullrich, dahin. Aber ich denke, es gibt den Fahrern in der zweiten Reihe die Möglichkeit, gute Leistungen zu zeigen.
INTERVIEW: JUTTA HEESS
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