piwik no script img

Das Gleiche in Grün-Rot

Im Portugiesenviertel blickt man den Halbfinalspielen entspannt entgegen. Fürs Finale wünscht man sich nur eines: „Heimat“ gegen „Wahlheimat“. Und noch etwas: „Heimat“ möge gewinnen

von MATHIAS BECKER

Drei Fußminuten hinter den Landungsbrücken dominieren grün-rote Fahnen und der Duft von gegrilltem Fisch. Touristen studieren Stadtpläne, Digitalkameras baumeln an gebräunten Hälsen herab, Büroangestellte bestellen den „Mittagstisch“. Sieben Stunden vor Anpfiff des Halbfinales Deutschland gegen Italien wirkt das Portugiesenviertel wie an jedem anderen Tag. Bloß in Zeitlupe.

30 Grad im Schatten lassen keine Energie für Hektik in den Restaurants und Cafés rund um die Dietmar-Koel-Straße. Und was passieren wird, das weiß man eh schon. Klinsmanns Elf schickt die Italiener nach Hause, Portugal schlägt Frankreich, und ein Herzenswunsch der hierzulande lebenden Portugiesen geht in Erfüllung: Die Teams um Michael Ballack und Luis Figo kämpfen um den Titel. „Daran gibt es keinen Zweifel“, sagt Antonio Correia zwischen zwei Gabeln Pasta. Und dann? Der Wirt vom Café Due ist sich sicher: „Portugal gewinnt 2:1 – dann ist hier Ausnahmezustand“. Und mit leuchtenden Augen setzt er noch einen drauf: „Dann gibt‘s Freibier!“

Auch im Restaurant „Beira Mar“ steht das 2:1-Finalergebnis schon fest. Und nur bei dieser einen Begegnung würde Gastwirt Albano da Rocha der DFB-Elf nicht die Daumen drücken. „Weil ich Portugiese bin“, sagt er – als müsse er sich selbst daran erinnern. Wie lange er in Deutschland lebt? Das weiß er nicht mehr so genau. „Etwa 30 Jahre“, rechnet er zögernd vor. Entsprechend entspannt ist da Rochas Verhältnis zum Patriotismus, was drei Fahnen bezeugen, die zwischen seinem Laden und der Bar gegenüber im Wind wehen: Grün-Rot für die Heimat, Schwarzrotgold für die Wahlheimat und in der Mitte ein weißer Totenkopf vor schwarzem Hintergrund. Für den Kiez.

Gegenüber, vor dem „Jack Daniels“ singt „Joe“ im Schatten einer Markise Lobeslieder auf die deutsche Elf. Der portugiesische Wirt mit dem amerikanischen Namen lebt seit 26 Jahren in Deutschland. Er trägt das Portugal-T-Shirt zur Deutschland-Kappe und ist in jedem Fall dafür, „dass der Pokal hier bleibt“. Ein Stammgast klärt auf: „Der ist eine Ausnahme unter den Portugiesen. Aber in Hafenstädten wie Hamburg hat man es nun mal nicht so mit Nationalgefühl.“

Das passt zu der demonstrativen Gelassenheit, die an diesem Mittag über den Straßen hängt. Lässig werden Bierfässer hinter Tresen gerollt und Kühlvitrinen mit „Sagres“, dem portugiesischen Flaschenbier, gefüllt. Wahrscheinlich braucht man diese Ruhe, kurz bevor die ersten Fahnenschwenker kommen. Bevor die Beamer eingeschaltet und die Fernseher vor die Türen getragen werden. Bevor sich die Straßen des Viertels mit Fans füllen, so dass kein Fahrrad mehr durchpasst.

Spätestens morgen dürfte die Gelassenheit im Viertel für 90 Minuten der Anspannung weichen. Und hoffentlich für ein paar weitere Stunden der Euphorie. Bis Sonntag eben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen