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Die raschelnde Stimme des Balls

In Essen trainiert eine der ersten Fußballmannschaften von Blinden in Deutschland. Nur der Torwart kann sehen. Alle anderen SpielerInnen lernen, auf den rasselnden Ball zu hören. „Für mich sind die Ohren meine Augen“, sagt Sabrina Führer

von ANNINA REIMANN

Die Spieler der ersten Blindenfußballmannschaft im Ruhrgebiet bringen den Ball ins Rasseln. Sobald sie die Sporthalle in Essen betreten, zählt höchste Konzentration. Wer nicht genau horcht, wo der raschelnde Spezialball rollt, tritt mit dem Fuß ins Leere. Wer sich nicht bemerkbar macht, wenn der Gegner heraneilt, wird umgerannt. Blindenfußball steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen.

Die Mannschaft aus Essen hat gerade erst das Training aufgenommen – genau wie Gruppen in Berlin, Stuttgart oder Würzburg. Bisher gab es keine Fußballmannschaft für Blinde in Deutschland. In Essen trainieren Menschen zwischen 15 und 45 Jahren – Männer und Frauen zusammen. Nur der Torwart einer Blindenmannschaft muss sehen können.

Die Welt von Sabrina Führer ist seit ihrer Geburt dunkel. Die 24-jährige Spielerin tastet vor dem Training in der für sie neuen Sporthalle die Wände ab. Sie muss sich einprägen, wie groß die Fläche ist und wo eine Bank steht. Die junge Frau hat Ehrgeiz: „Ich möchte in die erste Blinden-Nationalmannschaft.“ Deswegen nimmt sie wöchentlich den knapp zweistündigen Weg aus Witten zum Training mit der Bahn in Kauf.

Auf brasilianische Ball-Kunststücke kommt es beim Training bestimmt nicht an. Für die frisch gegründete Mannschaft heißt es eher Rennen, Üben und auf Stimmen zulaufen. „Für mich sind die Ohren meine Augen“, sagt Sabrina Führer. Dann spurtet sie völlig ohne erkennbare Angst durch die Halle.

Trainer Peter Allwardt möchte der Gruppe über seine Augen ein Stück von der Fußballwelt zeigen: Er schlägt mit der Hand gegen die Wände, damit die Spieler wissen, wenn es gefährlich wird. „Jetzt in meine Richtung“, dirigiert der 52-Jährige die Schützlinge der Behinderten-Sportgemeinschaft (BSG) mit seiner Stimme durch das Training.

Der Ball, der sich anhört wie eine laute Kinderrassel, rollt durch die Halle. Spieler Matthias Brell tapst vorsichtig in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Noch möchte er kein Vollgas geben. „Voy, voy“, ruft Sabrina Führer. Das heißt so viel wie „Ich komme“ – der Ruf ist Pflicht beim Blindenfußball. Wer den Gegner nicht informiert, riskiert einen Strafstoß. Kommunikation ist wichtig für die Sicherheit. „Man muss sich bemerkbar machen, damit man nicht umgelaufen wird“, erklärt Brell.

Die blinden Fußballer kommen aus dem ganzen Ruhrgebiet nach Essen. Mal sind acht Spieler beim Training, mal zwei – nicht alle können jede Woche so weit fahren. Pro Mannschaft werden sie später bei richtigen Turnieren mit vier Feldspielern um das runde Leder kämpfen. Trainer und Torwart dirigieren sie dann zusätzlich durch Zurufe. Die Feldspieler tragen Augenbinden, damit Menschen mit einem Restsehwert keinen Vorteil haben.

Was in Essen gerade erst ins Rollen kommt, rasselt bei der internationalen Konkurrenz aus Brasilien, Spanien oder Argentinien schon lange. Wenn es nach BSG Geschäftsstellen-Leiterin Berenice Wagner geht, steht die Mannschaft der internationalen Konkurrenz in nichts nach. 2008 soll sie zu den Paralympics nach Peking fahren. Mit Cornelia Dietz ist eine Landes-, Europa- und Weltmeisterin im Blindentorball. Stammplätze in der Mannschaft sind noch frei. Sehende können als Torwart mitspielen. Spielerin Sabrina Führer meint: „Wer sich den Weg zutraut, kann kommen.“ (DPA)

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