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Die netten Herren von Milli Görüs

ISLAMISMUS Sie galten als Reformer der vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation IGMG – bis der Innenminister einen anderen Verein wegen Spenden an die Hamas verbot. Jetzt fragen sich Politik und Islamexperten: Wie umgehen mit Milli Görüs?

IHH und Milli Görüs

Die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH): Der Bundesinnenminister hat am Montag die IHH mit Sitz in Frankfurt am Main verboten, weil diese 6,6 Millionen Euro über sechs Vereine an die Hamas transferiert haben soll. Die IHH, die in zahlreichen Ländern aktiv war, wurde Anfang der 90er Jahre gegründet und hat gemeinsame Wurzeln mit der namensgleichen türkischen Einrichtung, die die umstrittene Gaza-Schiffsflotte organisiert hatte. Hinter der deutschen IHH stecken Funktionäre der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG).

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG): Der Verband ist mit gut 320 Moscheen und 29.000 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland. Er wird vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt aber als gewaltfrei und legalistisch. Die IGMG gehört zur länderübergreifenden Milli-Görüs-Bewegung, die auf den türkischen Islamisten Erbakan zurückgeht.

VON S. AM ORDE, P. BEUCKER, W. SCHMIDT UND D. WIESE

In Hamburg ist Mustafa Yoldas ein angesehener Mann. Mit elf Jahren kam der Sohn türkischer Gastarbeiter nach Deutschland, heute betreibt er eine Arztpraxis im Bezirk Altona. Er ist Vorsitzender der Schura, eines Zusammenschlusses von Moscheegemeinden in der Hansestadt. Mit dem Senat verhandelt Yoldas über einen Staatsvertrag, analog zu denen mit den christlichen Kirchen und der Jüdischen Gemeinde. Und das, obwohl der 40-Jährige in der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) aktiv ist, der größten islamistischen Organisation in Deutschland. Doch selbst beim Verfassungsschutz, der die IGMG beobachtet, hieß es bisher, der Hamburger Regionalverband werde von der Politik „als seriöser Ansprechpartner akzeptiert“. Das könnte nun vorbei sein.

Am Montag haben Polizisten Yoldas’ Haus durchsucht, zeitgleich fanden in Hessen und Nordrhein-Westfalen weitere Razzien statt. Zuvor hatte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Internationale Humanitäre Hilfsorganisation (IHH) verboten. Der Vorwurf: Die IHH soll 6,6 Millionen Euro an die radikalislamische Hamas gespendet haben, die im Gazastreifen de facto regiert und auf der Terrorliste der EU steht.

Vorsitzender der IHH ist Mustafa Yoldas, im Kuratorium sitzen zahlreiche Funktionäre der IGMG. „Organisationen, die sich von deutschem Boden aus gegen das Existenzrecht des Staates Israel richten, haben ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit verwirkt“, sagte de Maizière.

Es ist dritte schwere Schlag gegen die IGMG innerhalb kurzer Zeit. Bereits im August 2008 und im März 2009 fanden Großrazzien statt, bei denen auch die IGMG-Zentrale in Kerpen durchsucht wurde. Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem gegen Generalsekretär Oguz Ücüncü wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Spendenbetrugs und Steuerhinterziehung. De Maizière schloss deshalb den von der IGMG dominierten Islamrat von der Islamkonferenz aus.

Der Imageschaden für die Organisation ist riesig. Dabei wollte sie sich so gern vom Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit befreien. Und es schien einen Reformerflügel zu geben, dem man eine Mäßigung zutraute. Einer ihrer Vertreter: Mustafa Yoldas.

Am Mittwoch steht Yoldas vor Journalisten in einem Hotel in Berlin, 500 Meter vom Bundestag entfernt. Die Pressekonferenz soll die Vorwürfe des Innenministers entkräften – doch Yoldas macht alles nur schlimmer. „Drangsaliert und kriminalisiert“ werde man, poltert Yoldas. Deutschland mache sich zum „willfährigen Vollstrecker“ Israels. De Maizière, so Yoldas, sehe die Dinge „mit der Brille des Mossad“. Die entscheidende Frage aber will Yoldas nicht beantworten: ob er gewusst habe, mit wem seine IHH da zusammenarbeitete; mit einer Organisation, die auf der Terrorliste der EU steht und das Existenzrecht Israels negiert.

Yoldas lavriert, windet sich. Er sagt, das Geld sei „nicht der Hamas zugutegekommen, sondern notleidenden Menschen“. Aber er sagt auch, wer in Gaza etwas auf die Beine stellen wolle, komme an der Hamas nicht vorbei. Ob er gewusst habe, dass Geld an Vereine geflossen sei, die Angehörige von „Märtyrern“ unterstützen? Es sei die „Repressionspolitik Israels“, die die Menschen in die Arme von Selbstmordattentätern treibe, sagt Yoldas.

„Yoldas galt als freundliches Gesicht der IGMG“, sagt Verfassungsschützer Herbert Landolin Müller aus Baden-Württemberg. „Aber wir hatten schon immer unsere Zweifel an den angeblichen Reformern.“

Sind also selbst IGMG-Vertreter wie Yoldas Wölfe im Schafspelz, wie es Kritiker immer wieder beschwören? Funktionäre, die davon reden, in der Demokratie angekommen zu sein – die aber in Wirklichkeit die islamistische und antisemitische Ideologie ihres Gründers Necmettin Erbakan weiterverfolgen?

Wer versucht, sich ein Bild von der IGMG zu machen, trifft auf viele Deutungen – und wenige Fakten, vor allem was das Machtgefüge in der Organisation angeht. Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer, ein Kenner der Szene, spricht von einer „unübersichtlichen Gemengelage“. Klar ist: Die IGMG ist mit gut 320 Moscheevereinen die größte islamistische Organisation hierzulande, nach eigenen Angaben hat sie 57.000 Mitglieder. „Die IGMG hat direkten Einfluss auf schätzungsweise 60.000 Menschen und auf ein noch größeres Umfeld, tausende Kinder und Jugendliche wachsen in die Organisation hinein“, sagt die Islamismusexpertin Claudia Dantschke. Kiefer und Dantschke sind sich einig: Schon allein wegen ihrer Größe kann man die IGMG nicht sich selbst überlassen.

Die IGMG wird vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt aber als gewaltfrei und „legalistisch“. Sie ist Teil der länderübergreifenden Milli-Görüs-Bewegung, die auf den türkischen Politiker Erbakan zurückgeht. Dieser erklärte Anfang der 70er die Überwindung von Laizismus und Demokratie zum Ziel und die Errichtung einer „gerechten Ordnung“ auf islamischer Grundlage. Umstritten ist, wie sehr sich die IGMG an diesem Ziel orientiert.

Während der Verfassungsschutz immer wieder die „verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat“ in Zweifel zieht, hat der Ethnologe Werner Schiffauer eine ganz andere Deutung. Demnach haben die Reformer in der IGMG die Führung übernommen und versuchen, ihre traditionelle Klientel mit Demokratie und säkularem Rechtsstaat zu versöhnen. Schiffauers Hoffnungsträger sind Männer wie Generalsekretär Ücüncü, dessen Vize Mustafa Yeneroglu und ihr norddeutsches Gesicht Yoldas – und damit genau die Funktionäre, die bei der IHH aktiv waren. Doch Schiffauer will keine Fehler bei Yoldas und Co. sehen. Eher zweifelt er die Verbotsentscheidung des Innenministers an. „Noch liegen keine Belege vor, dass das Geld für nichthumanitäre Zwecke verwendet wurde“, sagt Schiffauer. „Ich weiß nicht, ob das Verbot vor Gericht besteht.“

Die Chancen dafür stehen aber nicht schlecht. Es stützt sich auf ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2004, das ein ähnliches Verbot prüfte. Auch Spenden an Hamas-Sozialvereine gelten demnach als Unterstützung der Terrororganisation.

Schiffauer sieht zwischen dem IHH-Verbot, den Ermittlungen gegen Generalsekretär Ücüncü und dem Ausschluss aus der Islamkonferenz eine Verbindung: „Die Politik, insbesondere ein Teil der CDU, will Milli Görüs kaltstellen.“ Das aber liefere dem Flügel, der gegen eine Öffnung zur deutschen Gesellschaft ist, nur neue Argumente.

Doch die Frage ist: Wie bedeutend ist dieser Flügel überhaupt?

Mitte April in der Duisburger Mercatorhalle. Ohrenbetäubender Beifall, als Erbakan die Bühne betritt. „Mücahit Erbakan!“, tönt es aus tausenden Kehlen, „Anführer Erbakan“. Erbakan wirkt gebrechlich, aber die Botschaft, die der 83-Jährige in seiner immer wieder von Jubelchören unterbrochenen Rede verbreitet, ist klar. Es gebe nur zwei Kategorien von Menschen: die Milli-Görüsler, die für Gerechtigkeit einträten – und alle anderen.

Neben Erbakan auf dem Podium sitzt die Führungsspitze der IGMG. Der Vorsitzende und sein Generalsekretär schauen verkniffen. Sie sind seit Jahren bemüht, den Anschein einer größeren Eigenständigkeit der türkischen Milli-Görüs-Bewegung zu erwecken. Doch an der Basis wird Erbakan weiter verehrt. „Wir müssen Rücksicht nehmen auf unsere älteren Mitglieder“, sagt ein junger Funktionär hinter vorgehaltener Hand.

Ahmet Senyurt ist Journalist, seit 15 Jahren recherchiert er zu Milli Görüs. Er hat über die undurchsichtigen Strukturen und das Immobilienimperium der IGMG gearbeitet, über abgeschottete Gemeinden, dubiose Schulungen und die Beziehungen der IGMG zu noch radikaleren Gruppierungen. Senyurts Deutung fällt ganz anders aus als die Schiffauers. „Mit dem IHH-Verbot hat sich der sogenannte Reformflügel in der IGMG selbst beschädigt“, sagt Senyurt. Für ihn ist klar: So demokratisch, wie sie sich geben, sind die Reformer nicht. Die Rechtfertigungsversuche von Yoldas regen ihn auf: „Es ist immer dasselbe: Es gibt einen Skandal; Opferinszenierung und Gerede über Schaden für die Integration folgen, und am Ende liegt die Schuld bei den anderen.“ Das Problem sei, dass die IGMG die entscheidenden Fragen nicht transparent diskutiere: Wie halten wir es mit der Demokratie? Mit Antisemitismus? Mit Gewalt? Wie stehen wir also zu der Ideologie Erbakans?

Die Politik ist uneins, wie sie mit der IGMG weiter umgehen soll. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will auch nach dem IHH-Verbot den Dialog mit Milli Görüs fortsetzen. Er hatte nach dem Ausschluss aus der Islamkonferenz demonstrativ eine Moschee besucht, die der IGMG nahesteht. Hingegen deutete Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) an, weiter Härte zeigen zu wollen: „Wir werden sehen, inwieweit diese Verbindungen auch zu einer politischen Neubewertung von Milli Görüs führen werden.“

In Hamburg will man sich noch nicht äußern, wie sich das IHH-Verbot auf die Gespräche mit Mustafa Yoldas, dem freundlichen Gesicht der IGMG im Norden, auswirkt. Aber ein „Weiter so“ wird es kaum geben können.

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