Ampelkoalitionen: Debatte zur Unzeit
Joschka Fischer kann‘s nicht lassen: Hatte der grüne Übervater erst Ende Juni sein Bundestagsmandat niedergelegt, seinen Abschied aus der Politik elegant gestaltet, sorgt er wenige Tage später mit Spekulationen über mögliche Koalitionen für Aufregung. Routine-Treffen zwischen Grünen und Liberalen werden im Berliner Sommerloch schnell zu „Geheimgesprächen“. Dabei hat Fischer nur das politische Einmaleins durchdekliniert – und sogar die Beschlusslage seiner Partei beachtet.
KOMMENTAR VON ANDREAS WYPUTTA
Denn auf ihrem Oldenburger Bundesparteitag hatten die Grünen ausdrücklich betont, die Verschiebungen im bundesdeutschen Parteiensystem machten Dreierkonstellationen immer wahrscheinlicher. Gestalten können die Grünen im Bund danach in einer „roten Ampel“ mit SPD und FDP, in einer „schwarzen Ampel“ mit CDU und FDP oder eben in einer rot-roten Koalition mit Sozialdemokraten und Linken. Derzeit aber ist ausgerechnet das rot-rote Bündnis nicht denkbar – einer linken strukturellen Mehrheit unter den Wählerinnen und Wählern zum Trotz. Denn niemals würden führende Sozialdemokraten mit ihrem ehemaligen Vorsitzenden Oskar Lafontaine zusammenarbeiten. Und Lafontaine selbst setzt alles daran, seine ehemalige Partei zu marginalisieren: Große Teile der gewerkschaftlichen Basis stehen der Linken schon heute näher als ihren ehemals natürlichen Verbündeten von der SPD.
Unterdessen verschleißen sich die Sozialdemokraten in der großen Koalition. Nach aktuellen Umfragen liegen sie mit 28 Prozent noch fünf Prozent hinter der CDU. Gewinner sind die Liberalen: Sie kommen auf deutlich über zehn Prozent – Tendenz steigend. Gut möglich also, dass sich Fischers Spekulationen nach dem Ende der großen Koalition in Berlin als Debatte zur Unzeit erweisen – und die Republik wieder einmal nur von CDU und FDP regiert werden wird.
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