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Zum Erfolg verdammt

Italien ist zum vierten Mal Weltmeister, aber ausgerechnet Gennaro Gattuso steht für den Erfolg: verbissen auf dem Platz, bescheiden im Auftreten und unbehost in der Stunde des Triumphs

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Jetzt weiß man, wie Gennaro Gattuso feiert. Er zieht die Sporthose aus, läuft im Schlüpfer umher und freut sich wie ein kleines Kind. Es machte dem Kalabrier nichts aus, dass er im Berliner Olympiastadion nach dem finalen Sieg über die Franzosen die Ovationen der Fans im Feinripphöschen entgegennahm. So ist er eben, „Ringhio“, der 28-jährige, freundliche Knurrer vom AC Milan. Er trägt diesen Spitznamen, weil er im Mittelfeld, wie man so schön sagt, rackert. Er beherrscht die hohe Kunst des Nervtötens. Gattuso steht den kreativen Mittelfeldspielern auf den Schlappen und eskortiert die Führungsspieler. Diesmal hatte er es auf Zinedine Zidane abgesehen und gelegentlich auch auf Thierry Henry. Zidane flog vom Platz. Henry wurde ausgewechselt, wenngleich er den Knurrer einige Male abschütteln konnte wie ein lästiges Insekt und auch zu einigen Chancen kam. Aber am Ende jubelte Gattuso.

Er hatte kein überragendes Spiel gemacht, dafür hatte sich sein Team zu schwer getan gegen eine Équipe tricolore, die geschickt den Raum verriegelte. Nichtsdestotrotz zeigte Gattuso, nur 1,77 Meter groß, auch im Endspiel seine Tugenden: Kampf und Einsatz, Verbissenheit und Fairness. Er steht damit – pars pro toto – für den Erfolg des nunmehr viermaligen Weltmeisters. Am Sonntagabend hat eine Mannschaft den Pokal gewonnen, die zusammengehalten hat, die sich in seltener Synergie den Titel erspielt hat. Angeführt von einem väterlichen Trainer, Marcello Lippi, und durch den Fußballskandal zur Schicksalsgemeinschaft verdammt, haben sich die Italiener während dieser WM als Einheit entdeckt. Dass sie mit der besten Viererkette spielten, sei noch erwähnt, aber das sollte man im Land des gepflegten Catenaccio eigentlich voraussetzen. Auch dass sie in Fabio Cannavaro den herausragenden Defensiven in ihren Reihen hatten, kam nicht überraschend. „Dieses Team hat ein großes Herz gezeigt“, sagte Gattuso, der zu diesem Zeitpunkt schon wieder korrekt gekleidet war und es dem Maskottchen Goleo überließ, unbehost vor einem Millionenpublikum aufzutreten. „Vielleicht war es nicht schön, aber wir waren schwer zu schlagen“, erklärte er. Die Italiener haben in diesem Turnier tatsächlich nur zwei (!) Gegentore in sieben Partien bekommen: ein Eigentor von Cristian Zaccardo im Match gegen die US-Elf und einen fragwürdigen Elfmeter im Endspiel. Das ist ein rekordverdächtiger Wert. Der Riegel der Italiener hat den Erfolg gebracht. Sie deswegen auf ein destruktives Spiel festzulegen, wäre falsch. Insgesamt haben sie das Gleichgewicht zwischen Abwehr, Mittelfeld und Angriff am besten austarieren können. Die Mischung aus Seidenfüßen und Kilometerfressern vom Schlage eines Gattuso stimmte schlichtweg. Am deutlichsten wird dieses Spiel der Gegensätze am Duo Gattuso und Andrea Pirlo.

Pirlo heimste regelmäßig die Trophäe für den Spieler des Tages ein; sein leichtfüßiges, unangestrengtes Spiel faszinierte die Juroren der Fifa. Doch gleichermaßen hätte Gattuso die Auszeichnungen verdient gehabt. Aber sein Tagewerk wird mit anderen Attributen bedacht: grobschlächtig, unermüdlich, manchmal sogar tumb. Dabei agiert Gattuso im sensiblen Nervenzentrum seiner Elf. Seine Attacken geben dem Spiel seines Teams die motorischen Impulse. Kurzum: Gattuso arbeitet an den Synapsen der Squadra Azzurra. Das ist nicht immer schön, aber effektiv. Dazu kommt, dass Gattuso, der bei den Glasgow Rangers einen Schnellkurs in Arbeitsethos und britischer Härte genommen hat, ein Sympath ist, einer, der sich trotz der Euphorie richtig einzuschätzen weiß.

In den vergangenen Tagen ist er sogar mit dem Brasilianer Ronaldinho verglichen worden. „Ich kann einem den Ball abnehmen, aber von Ronaldinhos Klasse träume ich nicht mal nachts“, hat er auf diese Übertreibung geantwortet. Und mit Pirlo wolle er sich auch nicht messen. „Wenn ich einen Andrea Pirlo spielen sehe, frage ich mich schon, ob ich mich überhaupt Fußballer nennen darf“, sagte Gattuso. So viel Understatement war selten. Gattuso ist das Gegenmodell zu Filippo Inzaghi, dem Egomanen im Team der Italiener, der freilich kaum zu Zug kam. Selbst als ihn Diego Armando Maradona als einen der herausragenden Spieler der WM bezeichnete, blieb Gattuso kleinlaut: Da muss sich der Säulenheilige des Weltfußballs wohl geirrt haben.

Leichter tut sich Gattuso mit dem Lob der eigenen Kollegen. „In den großen Momenten brauchst du keine Schönspieler, da müssen Kämpfer ran, die ein Spiel als Schlacht verstehen“, ermunterte ihn Torwart Gianluigi Buffon. Und Trainer Lippi schrieb dem Knurrer ins WM-Zeugnis: „Er war grandios.“ Nur an seiner Kleiderordnung wird Gennaro Gattuso noch ein bisschen arbeiten müssen.

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