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Die Reform ist tot, es lebe die Reform

ANDERS LERNEN Schulverbesserer in ganz Deutschland setzen nach dem Hamburger Referendum jetzt auf Initiativen vor Ort

„Gerechtigkeit bleibt als Thema auch nach der Abstimmung auf der Tagesordnung“

VON CHRISTIAN FÜLLER

Finger weg von den Schulformen! Schluss mit den Reformen! Das sind die Reaktionen, nachdem sich die schwarz-grünen Bildungsreformer in Hamburg die Finger an der 6-jährigen Grundschule ordentlich verbrannt haben. Über 276.000 Bürger sagten Nein zur Primarschule. Die Bewegung für gute Schule in ganz Deutschland hat ihr Leitmotiv eingebüßt: Der Begriff „längeres gemeinsames Lernen“ ist praktisch nicht mehr verwendbar.

Das merkte man am Triumphgeheul der Gegner. Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, sonst Wächter über die Nichteinmischung in Länderangelegenheiten, bejubelte „die Klatsche für die Einheitsschule“. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sah in Hamburg ein gutes Zeichen – fürs Gymnasium. Sie alle sehen in dem Plebiszit einen historischen Moment, wie es einst die Niederlage der Koop-Schule in Nordrhein-Westfalen war. Damals, 1978, setzte ein Volksbegehren dem Plan zur Einrichtung gesamtschulähnlicher Gebilde ein Ende.

Eine ähnliche Bremswirkung wie vor 32 Jahren erhoffen sich die Gegner nun von ihrem Sieg in Hamburg. Mittels Plebisziten wollen sie alle Pläne für eine verlängerte Schule stoppen. In Saarbrücken sind unter Schwarz-Grün-Gelb fünf Jahre Grundschule vorgesehen, in Nordrhein-Westfalen (NRW) sollen neue Gemeinschaftsschulen sechs Jahre lang alle Kinder gemeinsam unterrichten können.

Allerdings mahnte der mächtige Philologenchef Heinz-Peter Meidinger zu Gelassenheit. Zunächst gehe es nur um intensiven Austausch mit dem Aktionsbündnis Schule in NRW und einem ähnlichen Club im Saarland. „Das Selbstbewusstsein ist natürlich gestiegen“, sagte Deutschlands oberster Studienrat der taz, „Volksentscheide wären aber der letzte Schritt.“

Bei den Schulverbesserern herrschte indes trotzige Gefasstheit. „Das Ergebnis von Hamburg kann man nicht vom Tisch wischen“, sagte der Schulentwickler Ernst Rösner der taz. „Aber es ändert nichts an der Problemlage im Land.“ Es gebe durch die Volksabstimmung an der Elbe keinen einzigen Risikoschüler weniger im Land, so Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund. Er hat das Konzept der Gemeinschaftsschule erfunden, die alle Kinder von der ersten bis zur 13. Klasse im Wesentlichen gemeinsam lernen lässt.

Ganz ähnlich denkt Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband. „Es ging in Hamburg viel um Pfründen, Privilegien und Polemik – aber kaum um Pädagogik“, sagte Wenzel der taz. „Nur was passiert eigentlich, wenn alles bleibt, wie es ist?“ Wenzel spricht für 55.000 Lehrer in Bayern. Er sieht „die Schere zwischen den Schulerfolgen von Arm und Reich im Stadtstaat genau wie im Rest der Republik weiter auseinandergehen: Das Thema Gerechtigkeit bleibt auch nach der Abstimmung auf der Tagesordnung.“

Die Anhänger eines längeren gemeinsamen Lernens haben längst die Strategie gewechselt. Während die Gegner noch vor ideologischer Zwangsbeglückung und Einheitsschule von oben warnen, fragt etwa Ulrike Köllner: „Was soll das eigentlich sein? Mir ist es doch egal, ob am Ende ein paar Gymnasien mit fünften Klassen übrig bleiben“, so die Vorsitzende der Gymnasialeltern Bayern der taz. „Aber ich möchte, dass auch bayerische Eltern die Möglichkeit haben, eine integrative Schule für ihre Kinder zu wählen. Daher setzen wir alles daran, Gemeinschaftsschulen dort zu entwickeln, wo das meiste Engagement dafür besteht: bei den Eltern vor Ort.“

Der Bayerische LehrerInnenverband (BLLV) nennt das regionale Schulentwicklung. Ein ausgefeiltes Konzept dafür liegt schon seit 2007 vor. Aber richtig Brisanz hat es erst gewonnen, seit die Staatsregierung sowohl die Gymnasien (mit der Verkürzung auf acht Jahre) als auch die Hauptschulen (mit Filetierungen in immer neue praktische Zweige) an die Wand gefahren hat. Nach dem BLLV soll sich jeder Landkreis mit Schulträgern, Eltern und Wirtschaft überlegen, welche Schule er möchte – inzwischen gibt es rund 100 Bürgermeister, inklusive CSU-Leuten, die lieber heute als morgen ihre Schule so retten wollen. Aber: Die Staatsregierung mauert und lässt bislang nur 13 modellhafte Kooperationen zwischen Haupt- und Realschulen zu – wobei sich die Kinder aus den verschiedenen Schultypen allerdings nur in Musik, Sport und auf dem Pausenhof sehen dürfen.

Der Witz an der Schulentwicklung von unten ist, dass sie eigentlich längst im Gange ist. Und dass alle Beteiligten, die sich auf der Hauptbühne gegenseitig die Köpfe einschlagen, vor Ort friedlich zusammenarbeiten.

Was der BLLV in Bayern vorschlägt, hat das Land Schleswig-Holstein in etwa vorexerziert. Dort gibt es ab kommendem Schuljahr mehr Gemeinschaftsschulen als Gymnasien – alle lokal vom Schulträger gegründet. NRW geht den gleichen Weg: „Die Landesregierung will gemeinsames Lernen im regionalen Konsens gestalten. Die Akzeptanz ist dann groß, wenn vor Ort Kollegien, Eltern, Schülerinnen und Schüler und Kommunen eingebunden sind“, sagte die neue Schulministerin, die grüne Sylvia Löhrmann.

Selbst Bildungsministerin Schavan ist auf der gleichen Spur. Während sie am Montag forderte, dass nicht jedes Land sein eigenes Schulkonzept verfolgen dürfe, tut sie genau das mit Millionenaufwand – in ausgewählten Modellkommunen. In ihrem Programm „Lernen vor Ort“ sollen sich lokale Akteure vor Ort zusammentun, um Bildungsarmut zu verhindern. Die Schulreform von oben ist tot – es lebe die Schulreform von unten.

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