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„Wir müssen mit der Hamas verhandeln“

Solange Israel die Besatzung fortsetzt, wird sich die Spirale der Gewalt endlos weiterdrehen, meint Jitzhak Frankenthal. Sein Sohn, der israelische Soldat Arik Frankenthal, wurde 1994 von Aktivisten der Hamas entführt und ermordet

taz: Herr Frankenthal, Sie können wie kaum ein anderer verstehen, was die Familie des Soldaten Gilad Schalit durchmacht, deren Sohn vor zwei Wochen im Gaza-Streifen entführt wurde. Ihr eigener Sohn Arik wurde vor genau zwölf Jahren von Hamas-Aktivisten entführt und ermordet. Stehen Sie in Verbindung mit der Familie Schalit, und welchen Rat haben Sie an die Eltern der Geisel?

Jitzhak Frankenthal: Zunächst einmal hoffe ich, dass es bei der Familie Schalit ein Happy End geben wird und keine Katastrophe. Ich habe allerdings keinen Kontakt. Denn ich repräsentiere den Verlust eines Kindes, während die Schalits auf die Rückkehr ihres Kindes hoffen.

Der israelische Premierminister Ehud Olmert lehnt jegliche Verhandlungen über einen Geiselaustausch kategorisch ab. Halten Sie das für richtig?

Der israelische Regierungschef sollte seinen palästinensischen Amtskollegen Ismail Hanijeh anrufen, sich mit ihm treffen und reden, um das Problem der Palästinenser insgesamt zu lösen, nicht nur die Krise um den entführten Soldaten. Der Weg zur Lösung eines Problems führt über das Gespräch, über einen Dialog ohne Vorbedingungen.

Die Hamas schlägt einen Waffenstillstand vor. Israel lehnt das ab, solange sich der Rekrut Gilad Schalit in der Gewalt palästinensischer Geiselnehmer befindet …

Ich will Ihnen etwas sagen: Ich habe mich mehrmals mit Vertretern der Hamas getroffen, schon bevor der Soldat entführt wurde. Man kann mit diesen Leuten zusammensitzen, reden und zu einer Einigung kommen. Das sind ernsthafte Politiker. Was ihnen fehlt, ist ein israelischer Partner.

Mit wem haben Sie sich getroffen?

Mit dem Minister Chaled Abu Arafeh und einer Reihe von Parlamentariern. Alle, ohne Ausnahme, haben Interesse an einer politischen Lösung bekundet.

Auch der palästinensische Außenminister von der Hamas, der noch immer von einer Weltkarte träumt, auf der Israel nicht verzeichnet ist?

Als träumte in Israel keiner von einem Nahen Osten ohne Palästinenser …

Kein Außenminister.

Vergessen Sie nicht den israelischen Regierungschef, der Gaza im Meer versenken wollte: Das war Jitzhak Rabin. Oder Ariel Scharon, der als Regierungschef meinte, das Schicksal Tel Avivs werde dasselbe sein wie das von Netzarim, der geräumten jüdischen Siedlung im Gaza-Streifen – obwohl er doch selbst den Befehl zu dessen Evakuierung gegeben hatte. Es gibt alle möglichen Minister, die allen möglichen Gedanken nachhängen.

Sie haben nach dem Tod Ihres Sohnes das Arik-Zentrum gegründet. Wie treiben Sie persönlich die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern voran?

Wir arbeiten ausschließlich mit Palästinensern zum Thema Versöhnung und Frieden. Ziel ist es, der israelischen Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Palästinenser ein Interesse an der Versöhnung haben. Das passiert in Form von Demonstrationen, bei denen die Palästinenser Hemden mit den Flaggen Israels und Palästinas tragen. Wir haben auch ein Modell der Mauer gebaut, um den Israelis überhaupt einmal zu zeigen wie das aussieht. Im Moment planen wir die Errichtung einer Zeltstadt vor der Knesset mit 400 Zelten für Palästinenser aus Ostjerusalem, die durch den Mauerbau von dem Westjordanland getrennt werden. Dafür fehlen uns vorläufig noch die nötigen Gelder.

Was halten Sie von der Rolle des Hamas-Führers Chaled Maschal, der von Damaskus aus die Fäden zieht? Er soll in die Entführung der Rekruten Gilad Schalit im Gaza-Streifen verwickelt sein.

Maschal ist ein Mensch, den die Bedürfnisse des palästinensischen Volkes nicht interessieren. Er lebt in der Welt seiner eigenen Vorstellung und glaubt, er könne von dort, wo er sitzt, hier etwas verändern. Das wird ihm nicht gelingen.

Trotzdem ist er es, der die Entwicklungen diktiert.

Das stimmt. Die Palästinenser müssen entscheiden, wer über sie entscheiden soll – der Regierungschef Hanijeh oder Maschal in Syrien.

Nun sind an der Grenze zum Libanon zwei weitere Soldaten entführt worden – und das, obwohl die israelische Armee vor sechs Jahren aus dem Land abgezogen wurde. Halten Sie einen Handel „israelische Geiseln gegen arabische Häftlinge in Israel“, wie ihn die Hisbollah vorschlägt, für richtig?

Es besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Operation der Palästinenser im Gaza-Streifen und der Entführung der beiden Soldaten nach Libanon. Libanon ist ein souveräner Staat, die Entführung ist ein feindlicher Kriegsakt gegen Israel. Wäre ich Premierminister, würde ich so viele Hisbollah-Aktivisten und so viele libanesische Regierungsangehörige entführen, wie nur möglich. Ich würde mit schrecklichen militärischen Maßnahmen gegen Beirut und Damaskus vorgehen, um ein für alle Mal klar zu machen, dass mit Israel kein Spielchen zu spielen ist.

Der Abzug aus dem Gaza-Streifen erscheint rückblickend als strategischer Fehler. Was ist schief gelaufen?

Nein, der Abzug aus Gaza war kein Fehler. Ich glaube, dass es von vornherein nicht anders geplant war. Es gab so viele warnende Stimmen, die voraussagten, dass die Palästinenser den Kampf gegen Israel fortsetzen werden. Ich glaube, dass der damalige Premierminister Ariel Scharon auf sehr raffinierte Weise seinen Willen durchzusetzen versuchte, um das gesamte Westjordanland unter israelischer Kontrolle zu halten. Er wusste, dass die Palästinenser weiter gegen Israel kämpfen würden. Denn wir haben sie in ein einziges großes Ghetto gesteckt, wir haben ihnen keine Chance zur wirtschaftlichen Entwicklung gelassen und wir haben die Besatzung des Westjordanlands fortgesetzt. Alles war so geplant, dass die Palästinenser so reagieren, wie sie reagieren. Ich selbst habe schon vor dem Abzug aus Gaza geschrieben, dass Scharon der Welt zeigen will, dass man nicht aus den besetzten Gebieten abziehen kann, ohne dass die Palästinenser weiter Israel bekämpfen. Alles war darauf angelegt, den Abzug aus dem Westjordanland zu vermeiden. Das ist Scharon sehr gut gelungen.

Aber ist es nicht so, dass gerade die jüngsten Entwicklungen den Plan von Scharons Nachfolger Ehud Olmert nach einem unilateralen Rückzug aus dem Westjordanland erschweren?

Ach, sehen Sie, im Nahen Osten ist nichts einfach. Aber nichts wird den palästinensischen Willen brechen, in einem eigenen Staat zu leben. Ob es noch mal 1.000, 5.000 oder 10.000 Tote gibt – da kann man nichts machen. Es gibt keine Armee auf der Welt, der es gelingen wird, diesen starken Willen mit Gewalt zu brechen.

Welche Rolle könnte die internationale Gemeinschaft im Nahen Osten spielen?

Druck auf Israel auszuüben, sich mit der Hamas hinzusetzen und Verträge auszuhandeln.

Aber das tun die USA und Europa nicht.

Ich weiß, ich weiß. Die Amerikaner haben ein problematisches Weltbild, in dem die Hamas als Bin Laden erscheint – was Unsinn ist. Bin Laden kämpft gegen die Demokratie und gegen den Kapitalismus – die Hamas hat weder mit dem einen noch mit dem anderen ein Problem.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL

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