: Kein Bombengeschäft mehr
RÜSTUNG Die kriselnden Nato-Länder kaufen weniger Waffen, die Industrie ist verunsichert und die Bevölkerung gegen den Export, zumal in Krisengebiete
■ Hochschullehrer für Politikwissenschaft (FU Berlin) und einer der Koordinatoren des Personenbündnisses „Legt den Leo an die Kette!“ im Rahmen des Bündnisses „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“
Die deutsche Waffenindustrie ist übermächtig, aber auch verunsichert. Die angekündigten Produktionseinschränkungen vor allem im Rüstungsbereich und die betriebsbedingten Kündigungen von 5.800 Airbus-Mitarbeitern sind mehr als nur eine waffenkonjunkturelle Delle, sie sind der Anfang eines strukturellen Ab- und Umbaus der Rüstungsindustrie.
Zum einen schwächelt der Verkauf in Nato-Länder, was den Wettbewerb um Rüstungslieferungen in Spannungs- und Krisengebiete extrem verschärft. Zum anderen fehlt noch immer die endgültige Freigabe des Exports von 700 oder mehr „Leo“-Panzern nach Saudi-Arabien und Katar durch den Bundessicherheitsrat. Die Verhandler aus Saudi-Arabien sind wegen der öffentlichen Auseinandersetzungen über Waffenexporte in Deutschland so verunsichert, dass sie nun auch über Ersatzoptionen mit spanischen und amerikanischen Rüstungskonzernen verhandeln. Der Druck auf den „Leo“-Hersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW), jetzt endlich nach der Bundestagswahl den Waffendeal durch den Bundessicherheitsrat absegnen zu lassen, wächst also.
Ingenieure drehen Däumchen
Hunderte unzufriedene Ingenieure von KMW, so berichten Insider, drehen, weil die Rüstungsproduktion stockt, hoch qualifizierte Däumchen. Und bekannte Rüstungsbetriebe wie Heckler & Koch, Airbus und Rheinmetall, werden wegen gesetzeswidriger Rüstungsexporte und Schmiergeldzahlungen in der nächsten Zeit vor Gericht stehen. Kurzum: Rüstungsexporte sind für viele Hersteller keine sichere Bank mehr.
2010 betrug der Anteil der Waffenausfuhren 0,2 Prozent des deutschen Gesamtexports. Deutschland käme also auch ohne diesen Handel prima über die Runden. Trotzdem konnte der größte Waffenlobbyist, der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), ein glühendes Plädoyer für eine zukunftsfähige deutsch-europäische Rüstungsindustrie im Koalitionsvertrag verankern. Aber selbst das vermag den stockenden Rüstungsexport bislang nicht wieder zum Laufen bringen.
Hinzu kommt die neue Verteidigungsministerin von der Leyen. Sie ist ein unberechenbares Kraftwerk. Auf Merkel war bei Rüstungsexporten stets Verlass. Sie schleuste mithilfe der FDP ihre Rüstungsdeals trotz erheblicher öffentlicher Kritik relativ lautlos durch den Bundessicherheitsrat, nach der Devise: Keine Interventionen mit unseren Soldaten – sondern mit gezielten Rüstungsexporten zur „Ertüchtigung eigener regionalpolitischer Selbstverantwortung“.
Noch ist unklar, ob von der Leyen einen vorsichtigen Kurswechsel einleiten wird. Ihr christliches Menschen-, Demokratie- und Frauenbild könnte angesichts der Berichte von Amnesty International über Saudi-Arabien und andere Nahostländer stärker ins Schleudern geraten als das von Merkel. Von der Leyen dürfte das Image der Kriegsherrin vermeiden wollen und auch die Berichte der Kirchen und von Amnesty International über die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien und Katar genauer lesen (lassen).
SPD als neue Friedenspartei?
Von der Leyens Haltung wird aber auch vom Verhalten der SDP-Koalitionäre abhängen. Die Sozialdemokraten hatten trotz markiger Ankündigungen im Wahlprogramm, zu den angeblich strengen Exportrichtlinien der rot-grünen Koalition (die allerdings fast alles hat passieren lassen) zurückzukehren, nicht einmal den ein oder anderen Winzigerfolge bei den Koalitionsverhandlungen erringen können.
Man darf gespannt sein, ob Gabriel, Maas und Steinmeier mit Sitz im Bundessicherheitsrat ihre mutmaßlichen Bedenken so vortragen, dass Rüstungsexporte zumindest gebremst werden. Vorerst sieht es eher nicht danach aus, obwohl Gabriel im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen mehrfach Verantwortung für Rüstungsexporte in Spannungsgebiete eher vorsichtig unter der Formel der „SPD als Friedenspartei“ angemahnt hatte.
Von Steinmeier ist kein Engagement zu erwarten. Es sind noch nicht einmal Versuche bekannt geworden, mehr im Koalitionsvertrag durchzusetzen, als jetzt abschließend formuliert wurde.
Die Situation ist günstig
Es gibt kaum einen größeren Konsens als über Rüstungsexporte in Spannungsgebiete, er heißt: Keine Soldaten und Soldatinnen und keine Waffen in Krisen- und Spannungsgebiete. Aber diese über Jahre stabilen Mehrheitseinstellungen bis in die CDU- und CSU-Anhängerschaft hinein haben Rüstungsexporte nicht zu einem ernsthaften Wahlkampfthema oder Koalitionsanliegen gemacht. Es ist ein kurzbeiniges moralisches Entrüstungsthema – mehr nicht.
Das liegt auch an der fast ausschließlich auf die Skandallogik orientierte öffentlichen Debatte. Bis heute entschlüsseln die überregionalen Medien lieber alle Umstände eines Merkel-Deals, als die hundertfachen Belagerungen, Besetzungen, Veranstaltungen, Demonstrationen, Mahnwachen, Tagungen, Störungen von Aktionärsversammlungen auch nur mit einem Halbsatz zu erwähnen, die das ganz breite Bündnis „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ seit zwei Jahren initiieren konnte.
Aber wahr ist leider auch, dass die Gegner der Rüstungsexporte nicht stark genug sind, um einen wirklich gesellschaftspolitischen Konflikt zu entfachen: Zu viele bemooste Karpfen der Friedensbewegung und zu wenige junge Leute, die auf Dauer für dieses Thema wirklich brennen.
Trotzdem haben wir momentan eine zumindest relativ günstige Situation: Die Waffenindustrie ist verunsichert, die Verteidigungsministerin noch unberechenbar, die SPD bekundet die Absicht, Friedenspartei zu werden, Linkspartei und Bündnis90/Die Grünen könnten bei ihrer Kritik am Rüstungsexport kooperieren, und auch die überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung ist weiterhin gegen Rüstungsexporte in Spannungsgebiete. Das ist ein Gemisch, das aus der von Merkel sorgfältig und erfolgreich verschlossenen Flasche schon bald entweichen könnte.
Die Schlagkraft und Allmacht der Rüstungsindustrie ist jedenfalls ein Binsenirrtum. PETER GROTTIAN
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