piwik no script img

Container auf dem Tellerrand

Deutsche Häfen sollen zusammenarbeiten: Ein Gutachten für das Bundesumweltministerium fordert eine neue deutsche Hafenpolitik. Bund und Küstenländer sollen Konkurrenzkampf der Seehäfen stoppen und ihre Investitionen koordinieren

Von Sven-Michael Veit

Das Ende des Revierdenkens in der norddeutschen Hafenpolitik fordert ein Gutachten im Auftrag des Bundesumweltministeriums, das jetzt veröffentlicht wurde. Der „extreme Wettbewerb“ um Container müsse einer „standortübergreifend abgestimmten Planung“ weichen, heißt es in der 205-seitigen Expertise der Institute Prognos und ProgTrans, die der taz vorliegt.

Die bisherige Politik der regionalen Standortförderung für einzelne Hafenstädte müsse deshalb „einer Politik der Entwicklung des Seehafenstandorts Deutschland in seiner Gesamtheit“ weichen. Nur gemeinsam könnten die Nordseehäfen „auch zukünftig als starker Player auf dem Weltmarkt bestehen“.

Das Gutachten hatte 2004 der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin in Auftrag gegeben in der Hoffnung, den Wettlauf der Häfen um Subventionen des Bundes stoppen zu können (Bericht Seite 8). Die jetzt vorliegende Expertise, die jeden Standort untersucht und mit den Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen vergleicht (Kasten und Tabelle rechts), liefert dafür gute Argumente.

Hamburg

Dem größten deutschen Hafen Hamburg sagt das Gutachten „sehr gute Entwicklungsperspektiven“ voraus. Die Lage „an der Schnittstelle“ zwischen Nordsee und Nordosteuropa mache Hamburg „zum Marktführer in den Wachstumsmärkten Ostsee und Fernost“. Denn auch „bei den boomenden Ostasienverkehren“ habe sich die Stadt frühzeitig „sehr gut positioniert“. Die Wachstumschancen seien deshalb „ungebrochen hoch“.

Größter Schwachpunkt sei das Erfordernis, die Zufahrt durch wiederkehrende Ausbaggerungen der Elbe zu erhalten. Dies sei nur „mit vergleichsweise hohem finanziellen Aufwand (inkl. ökologischen Ausgleichsmaßnahmen) aufrecht zu erhalten“.

Zwar habe die Hansestadt noch Flächenreserven für eine neuerliche Hafenerweiterung, perspektivisch aber müssten Kooperationen mit anderen Standorten „in den Mittelpunkt des Hamburger Interesses rücken“. Ein Objekt der Begierde ist bereits Lübeck, das zur Filiale an der Ostsee ausgebaut wird. Künftig sollte aber auch eine Arbeitsteilung mit Cuxhaven ins Auge gefasst werden. Von dort könnten der Nord-Ostsee-Kanal und die Westküste per Containershuttle bedient werden.

Bremen

Die beiden Häfen in Bremen und Bremerhaven werden, so prognostiziert die Expertise, in absehbarer Zeit ihre Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Nach Fertigstellung des im Bau befindlichen Containerterminals 4 in Bremerhaven „wären die Kapazitätsgrenzen erreicht“.

Ein besonderes Problem sehen die Gutachter in der gegenüber Hamburg weit „geringeren Wertschöpfung vor Ort“. Der zweitgrößte deutsche Hafen werde vorwiegend „ein Transithafen bleiben“ mit relativ geringen Effekten auf Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze des Stadtstaates.

Deshalb sei die Bremer Beteiligung am projektierten Tiefwasserhafen im nahen Wilhelmshaven „folgerichtig“. Die Kooperation mit Niedersachsen in der Hafenpolitik sei ein „sinnvoller Ansatz“, der „neue Perspektiven im Sinne von Arbeitsteilung und Spezialisierung bieten“ könne.

Jade-Weser-Port

Der geplante Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven weist nach Einschätzung der Gutachter vor allem zwei Vorteile auf. Er wird mit einer Fahrrinnentiefe von 18 Metern selbst bei Niedrigwasser auch für die Containerriesen der nächsten Generationen „als einziger deutscher Hafen problemlos erreichbar“ sein. Zudem bietet der Standort „langfristige Ausbaureserven“ für Kais und Liegeplätze.

Allerdings wird er „als fast reiner Transshipment-Hafen nur geringe regionalwirtschaftliche Effekte“ haben. Alle Prognosen deuten darauf hin, so heißt es in der Studie, dass bis zu 70 Prozent der Ladung „seeseitiger Umschlag“ sein werden. Der Jade-Weser-Port wird demnach vor allem Verteilerknoten werden für Großbritannien sowie die deutsche und dänische Westküste. Vornehmlich würden Container von und nach dort von kleineren Feederschiffen in Wilhelmshaven angeliefert und abgeholt. Denn für den „Hinterlandverkehr“, also die Verteilung der Güter ins Binnenland hinein, fehlten auf absehbare Zeit „ausreichende Anbindungen“ durch Straße und Schiene. Jade-Weser würde, so das Fazit, in erster Linie mit Rotterdam und London konkurrieren, aber kaum mit Bremen und Hamburg.

Die Konkurrenz

Die beiden schärfsten Konkurrenten der deutschen Häfen, das niederländische Rotterdam und das belgische Antwerpen, könnten dem dennoch durchaus gelassen entgegensehen. Beide Standorte seien „herausragend positioniert“, vor allem Rotterdam sei wegen „erheblicher geostrategischer Vorteile“ in seiner Position als mit Abstand größter Hafen Europas auf Dauer unangefochten. Antwerpen hingegen, das seinen Platz als Containerhafen Nummer 2 auf dem Kontinent bereits an Hamburg verlor, leide unter „Engpässen in den Hinterlandverbindungen“. Dadurch würden „die Wachstumsaussichten möglicherweise gedämpft“ – allerdings nur auf lange Sicht.

Fazit

In ungewöhnlicher Offenheit kommen die Gutachter zu dem Schluss, dass die Hafenpolitiker in Deutschland bislang nicht über den Tellerrand schauen. Ohne ausreichende Analyse „der Folgekosten beispielsweise der letzten Elbvertiefung“ würden an allen Standorten „überstürzt enorme Investitionen getätigt“ – und vom Bund bezuschusst. Derzeit in der Planung sind die erneute Vertiefung von Weser und Elbe, parallel zum Bau des Jade-Weser-Ports.

Deshalb müsse eine feste Konferenz „Seehafenstandort Deutschland“ eingerichtet werden, um „das gemeinsame Auftreten auf dem Weltmarkt“ festzulegen. Dies sieht auch das Umweltministerium in einer ersten Stellungnahme so. Die Expertise solle jetzt „in die Vorbereitung einer Maritimen Konferenz in Hamburg im Dezember 2006 einfließen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen