: Kuch Kuch King Khan
Als idealer Schwiegersohn versöhnt er die Generationen: Ganz Indien schwärmt für Shah Rukh Khan. Nun widmet das Babylon Mitte dem smartesten Superstar des Bollywood-Kinos eine Retrospektive
VON EKKEHARD KNÖRER
Shah Rukh Khan ist ein unwahrscheinlicher Superstar. Eher Günther Jauch als Tom Cruise, ein netter Kerl, der Junge von nebenan. Kein muskelbepackter strahlender Held wie Hrithik Roshan, kein charismatischer Unsympath wie Salman Khan und auch keiner, der sich wie Aamir Khan mit Haut und Haar seinen Filmprojekten verschreibt. Seine Nase ist zu groß, seine mimische Bandbreite begrenzt und seine Haut eigentlich nicht hell genug für die Hindi-Film-Industrie, in der dunkelhäutige Darsteller in erster Linie als Schurken und Witzfiguren taugen. Trotzdem regiert King Khan seit über zehn Jahren unumstritten in Bollywood.
Zu den größeren Kunststücken in seiner erstaunlichen Karriere gehört es allerdings, dass King Khan auch das westliche, ganz besonders das deutsche Publikum um den Finger gewickelt hat. Entsprechend ist ihm eine Retrospektive gewidmet, die der Verleih Rapid Eye Movies auf eine heute in Berlin startende kleine Tour durch die Kinos der Republik schickt. Zu sehen ist unter anderem der Film, der die Initialzündung für das deutsch-indische Liebesverhältnis war: Karan Johars melodramatischer Familienversöhnungsheuler „In guten wie in schweren Tagen“ (2001). Vereinigt werden hier, nach heftigen Konflikten, Väter und Söhne, London und Bombay, Inder im Ausland und Inder im Inland, aber auch die Generationen der Leinwandhelden, mit Superstars wie Amitabh Bachchan oder Shah Rukh Khan und dem neuen Publikumsliebling Hrithik Roshan.
Ins selbe Genre der opulenten, politisch und ästhetisch eher ins Liberal-Konservative tendierenden Harmonisierungsspektakel gehören „Kuch Kuch Hota Hai – Und ganz plötzlich ist es Liebe“ (1998) und „Dilwale Dulhania Le Jayenge“ (1995). Letzteren lohnt es schon deshalb zu sehen, weil man hier unter einem exotisierenden indischen Blick (und mit Shah Rukh Khan als Reiseführer) Europa als eine Art generalisierte Schweiz präsentiert bekommt.
Von einer anderen Seite lässt sich Shah Rukh Khan, aber auch das indische Kino im chronologisch ersten Film der Retrospektive kennen lernen, dem Comedy-Thriller „Baazigar“ (1993). Der Film beginnt höchst albern, mit Auftritten von Oliver-Hardy- und Charlie-Chaplin-Doubles, entwickelt sich dann aber in Richtung Thriller mit Splattermomenten. Shah Rukh Khan ist hier ein zukünftiger Schwiegersohn, der, von Rachegelüsten getrieben, zum mehrfachen Mörder wird. In „Baazigar“ ist das exzessive Bollywood der 70er-Jahre in voller Blüte zu bewundern: als geschmackloses Kino der Übermarkierungen, der derben Scherze, der deliranten Songsequenzen, des unvermittelten Übergangs vom Komischen ins Blutige, vom Tragischen ins Dümmliche, mit dämlichen Soundeffekten und hektisch fuhrwerkender Kamera. Dem Puristen ein Graus, für den Fan aber eine Schlachteplatte mit allen geliebten Ingredienzien.
Ganz anderer Machart sind die künstlerisch interessantesten Filme der Reihe, „Dil Se“ (1998) und „Swades“ (2005). Wobei man auf „Swades“ besonders gespannt war, handelt es sich doch um Regisseur Ashutosh Gowarikers Nachfolger zu seinem Oscar-nominierten Riesenhit „Lagaan“ (2001). Gowarikers Film ist ein sozial engagiertes, sehr ernsthaftes Plädoyer für die Reform des rückständigen dörflichen Teils des Subkontinents. Der kommerzielle Erfolg hielt sich, trotz Shah Rukh Khan, in recht engen Grenzen. Im wirtschaftlich erstarkende Indien zielt ein solches die Grenzen zwischen Populär- und Kunstfilm verwischendes Crossover-Kino vor allem auf die neuen Mittelschichten und Multiplex-Besucher. Die waren an dieser Dorfgeschichte offenbar nicht sonderlich interessiert.
Fast ein Desaster war unter kommerziellen Gesichtspunkten auch „Dil Se“, das Meisterwerk des Regisseurs Mani Ratnam, der sonst für Box-Office-Hits verantwortlich ist. Shah Rukh Khan spielt hier einen politisch etwas ahnungslosen Radioreporter. Er verliebt sich in eine Terroristin, die in die Vorbereitungen eines verheerenden Bombenanschlags verstrickt ist. Über viele Situationen hinweg führt Ratnam hier Liebe und Politik eng – und scheut vor der konsequenten Auflösung nicht zurück. Auf schockierende Weise lässt er alle konventionellen Erwartungen an den Ausgang der Story ins Leere laufen. Mit „Dil Se“, aber auch mit anderen Politthrillern – wie dem die Bombenanschläge von 1993 thematisierenden „Bombay“ (1995) – hat Ratnam, ein tamilischer Regisseur, den Boden bereitet für eine derzeit zu beobachtende Repolitisierung des Bollywood-Kinos.
Es spricht sehr für Shah Rukh Khan, dass er seine Star-Power auch so ungewöhnlichen und nicht unbedingt Erfolg versprechenden Projekten wie „Dil Se“ oder „Swades“ zur Verfügung stellt. Nicht zuletzt darum wird es interessant sein, seine weitere Karriere zu verfolgen. Er kommt jetzt ins schwierige Übergangsalter – zwischen Schwiegersohn und Schwiegervater. Mal sehen, welche Rollen die Hindi-Film-Industrie ihrem größten Star in den nächsten Jahren auf den Leib schreibt.
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