piwik no script img

Das Haus der Staubfänger

ERINNERUNG Vor 50 Jahren öffnete in der DDR das wohl einzige Privatmuseum. Gründerin war Charlotte von Mahlsdorf, bekannt zum Beispiel für ihre Liebe zu Kittelkleidern

Zu DDR-Zeiten durfte Charlotte für ihr Museum keinen Eintritt nehmen. Nur die Spendenbox stand herum

VON MARINA MAI

Im Gründerzeitmuseum Mahlsdorf wird gewerkelt. Ein Mann bereitet Fototafeln für die Ausstellung zum 50. Geburtstag des Museums vor, am 1. August. Die beiden Frauen, die ehrenamtlich jede Woche hier putzen, kommen gerade zur Tür herein.

Zu putzen gibt es viel. Gründerzeitmöbel, die hier ausgestellt werden, sind Staubfänger. Zwischen goldgerahmten alten Schinken, Bettwäsche aus Häkelspitze und Waschtischgeschirr ist Monika Schulz-Pusch Hausherrin. Das Erzählen liegt ihr eigentlich nicht, es sei denn, es geht um Charlotte von Mahlsdorf, die dieses Museum vor 50 Jahren in einer alten Ruine errichtete.

Charlotte von Mahlsdorf wurde 1928 als Lothar Bergfelde in Mahlsdorf geboren, wenige hundert Meter vom heutigen Museum entfernt. Schon als Kind fühlte er sich als Mädchen und interessierte sich für „alten Kram“. Nach Kriegsende verdiente er seine Brötchen als Trödler. „Als die Stadt Berlin 1958 das Gutshaus Mahlsdorf abreißen wollte, blutete ihr das Herz“, sagt Monika Schulz-Pusch. „Das 1929 von der Stadt gekaufte und im Krieg weitgehend zerstörte Gutshaus hatte zuletzt als Kinderheim, Arztpraxis, Finanzamt und Kartenstelle gedient. Charlotte hat es von Kindheit an gekannt.“

Wenn sie von Charlotte spricht, spricht sie von einer Frau. Biologisch war Charlotte immer ein Mann, „aber ich habe sie noch kennengelernt und achte sie als Frau. Sie hat es aber auch niemandem übelgenommen, wenn man sie einen Mann nannte“, sagt die heutige Museumsleiterin. „Die Stadt und Charlotte machten 1958 einen Vertrag: Charlotte durfte in der Ruine zehn Jahre lang mietfrei wohnen und ersparte der Stadt damit 60.000 Mark Abrisskosten.“

Zimmer für Zimmer brachte die einzige bekannte Transsexuelle der DDR das geräumige Haus in Ordnung. Geld hatte sie, die inzwischen im Märkischen Museum arbeitete, keines. Aber in Abrisshäusern gab es gratis Türen und Fenster. Möbel und Einrichtungsgegenstände fanden sich bei Haushaltsauflösungen. Es war die Zeit, in der Menschen die Gründerzeitmöbel wegwarfen, um modernen Einrichtungsgegenständen Platz zu machen: die waren raumsparender und nicht solche Staubfänger.

Bei einem Schrotthändler hatte Charlotte eine mechanische Musikmaschine mit Schlagzeug, Xylofon und Orgel gefunden, die in einem Schrank untergebracht waren und mit der Kurbel bedient werden. „Charlotte hat sie repariert und dabei natürlich darauf gespielt. Da wollten Bauarbeiter wissen, was das für Musik war“, erzählt Monika Schulz-Pusch. Und so führte sie am 1. August vor 50 Jahren erstmals durch ihr Haus und ließ die Musikmaschinen erklingen.

Heute sind Eheschließungen im historischen Ambiente begehrt, die das Standesamt Marzahn-Hellersdorf mehrmals jährlich durchführt. Zu DDR-Zeiten durfte Charlotte für ihr Museum keinen Eintritt nehmen. Nur die Spendenbox stand herum. Das Museum war ihr Hobby. Es war ein Homosexuellentreff im Ostteil der Stadt. Und der Verstaatlichung widersetzte sie sich trotzig und einfallsreich. Ob ihr eine Verpflichtung als IM der Stasi dabei half, ist umstritten.

1997 wanderte Charlotte ins „kulturelle Exil“ nach Schweden aus. Die heutige Museumsleiterin ist davon überzeugt, dass ein Überfall von Rechten auf ein Schwulenfest im Gutshof nur am Rande ein Motiv für die Auswanderung war. „Der Hauptgrund war ihre finanzielle Misere. Das Haus stand unter Denkmalschutz, und sie hatte die Last der denkmalgerechten Instandsetzung zu tragen.“ Nach der Auswanderung gründete sich der Förderverein, der das Museum heute größtenteils ehrenamtlich am Leben erhält. „Damals wussten wir Mahlsdorfer“, sagt Monika Schulz-Pusch, „Charlotte hat sich mit diesem Museum ein Denkmal gesetzt, das wir erhalten wollen. Und da wurden ein paar Verrückte gebraucht, die das weiterbetreiben.“ Sie hat sich gemeldet.

■ Gründerzeitmuseum Mahlsdorf, Hultschiner Damm 333, Mi.–So. 10–18 Uhr. Am 1. August Tag der offenen Tür

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen