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Diese Arbeit ist ein Spiel

KUNST Vor zwei Jahren ist Cinzia Friedlaender aus Köln nach Berlin übergesiedelt. Die vormalige Filmproduzentin eröffnete eine Galerie in der Potsdamer Straße. Dort versucht sie, Genregrenzen zu überschreiten

Den Moloch Markt sieht Friedlaender gelassen. Er zwingt sie immer wieder, ihre Ideen zu überdenken

VON INGO AREND

Potsdamer Straße, Hinterhof, Seitenflügel. Zwei weißgetünchte Ausstellungsräume. Ein kleines Büro mit großer, hellgrauer Schreibtischplatte auf dem obligaten Eiermann-Gestell. Darauf, säuberlich gestapelt, Kunstmagazine. Zwei schwere Ledersessel. Kein Stäubchen, nirgends.

Auf den ersten Blick passt Cinzia Friedlaenders Galerie voll ins klassische White-Cube-Raster. Ein maßgeschneidertes weißes Hemd hat der Künstler Claus Rasmussen in der Mitte des ersten Ausstellungsraumes auf einen Bügel in grelles Scheinwerferlicht gehängt. Es passt zum minimalistischen Understatement, das das Betriebssystem Kunst in seinen Dependancen gerne pflegt. Auch die Hausherrin hat ein blütenweißes Hemd an, als sie ihren Besucher empfängt.

Ganz so business as usual, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es aber doch nicht. Zwar hat sich die Galerie der Rheinländerin vor knapp zwei Jahren eher lautlos in das ausufernde Ensemble der Berliner Galerien eingereiht. Die brünette Mittfünfzigerin trumpft nicht auf, sondern setzt auf Nachhaltigkeit mit Stil. Aber die aktuelle Ausstellung des Frankfurter Städel-Schülers Rasmussen ist nicht nur clean. Das weiße Hemd, sein Herstellungsprozess und seine vielen Manifestationsformen, die Rasmussen auffächert, sind auch eine Metapher für unsere kulturelle Situation zwischen Normierung und Egalisierung: Im weißen (T-) Shirt sind alle gleich.

Jung, minimalistisch, konzentriert – kritisch. So könnte man Friedlaenders Galerieprofil vorläufig beschreiben. Mit politischer Kunst darf man das nicht verwechseln. „An der langweilt mich“, sagt sie, „dass sie so schnell zu entschlüsseln ist.“ Friedlaender schätzt Kunst, die raffinierte Fragen stellt. Dass sie dabei nicht auf die Falschen setzt, ließe sich an Vincent Vulsma demonstrieren. Seine Bildserie „Ars Nova E5305-B“, schwarz besprühte Plastikfolien auf gewöhnlichen Keilrahmen, verbindet Fragen nach der Produktionsästhetik mit so etwas wie Erhabenheit. Diese Arbeiten des Niederländers hat Friedlaender im letzten Sommer ausgestellt. Ein knappes Jahr später fungieren sie als Visitenkarte von Kathrin Rombergs Berlin-Biennale.

Und doch sei ihre Galerie „keine Programmgalerie“, betont Friedlaender. Von den filigranen Webearbeiten Ruth Laskeys bis zu den Diaprojektionen Sunah Chois reicht die Spanne ungewöhnlicher Werke, die sie schätzt. Mit ihren Ausstellungen versucht sie, Genregrenzen zu überschreiten. 2009 stellten der Kölner DJ Justus Köhncke, Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und die experimentelle Filmemacherin Chris Kraus aus. Schätzt Friedlaender Außenseiter, Künstler, die distanziert auf den etablierten Kunstbetrieb schauen? „Mehr so die Outsider der Insider“, korrigiert sie betont sachlich Etikettierungsversuche.

Die Entscheidung, nach Berlin zu gehen, hat sie nicht bereut. „Das kann man schon daran sehen, dass ich so selten nach Köln komme“, sagt sie lachend. Wenn sie davon spricht, dass ihr in Berlin vieles „offener“ vorkommt, intoniert sie die Argumente derjenigen, die ihrem vorhersehbaren Dasein im sterilen westdeutschen Ghetto entfliehen wollen. Dafür gab die Frau, die auch als Assistentin des Kölner Galeristen Daniel Buchholz arbeitete, ihren Job als Filmproduzentin auf. „Im Film war ich an eine Grenze gestoßen“, begründet Friedlaender den Szenenwechsel. „An der Galeriearbeit reizt mich, dass es wie ein Spiel ist. Dass es einen Raum gibt, wo man etwas ausprobieren kann. Dass man nicht genau weiß, wie es weitergeht.“ Zwar liebäugelte sie auch kurz mit Brüssel als Standort. Am liebsten wäre sie aber nach New York gegangen. Dass sie dort inzwischen zu den emerging galleries zählt, beweist die Einladung zur Armory-Show in diesem Frühjahr.

„Das ist das Anspruchsvollste, was ich bisher gemacht habe“, sagt Friedlaender nachdenklich. Die Arbeit hat bei ihr erkennbar nichts zu tun mit der Faszination an einem Modeberuf, wo man easyjetmäßig durch die Weltgeschichte jagen und gewagte Turnschuh-Anzug-Kombinationen zur Schau stellen kann. Auch wenn sie sich elegant kleidet und auch gerne reist. Claus Rasmussens Arbeit „The history of the white shirt“ hat sie im Londoner Off-Space-Studio 10 entdeckt. Nun präsentiert sie sie dem Markt. Den gefürchteten Moloch sieht Friedlaender gelassen. Natürlich zwingt er sie immer wieder, ihre Ideen zu überdenken. „Andererseits lässt er es auch zu, kritische Positionen markttauglich zu machen.“

Nach fünf Jahren will Friedlaender Bilanz ziehen. Wer sich mit der klar argumentierenden Frau unterhält, hat keinen Zweifel daran, dass „I will survive“, der Titel von Justus Köhnckes Ausstellung, auch für sie gilt. Solange sie mit so guter Kunst arbeitet, wird sie nicht die weiße Fahne hissen müssen.

■ Aktuell: Claus Rasmussen, 1:33,3. Potsdamer Str. 105, Mi.–Sa. 13–18 Uhr. Bis 4. September

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