: Auftakt zum Übergang?
Die Nachricht von der Erkrankung Fidel Castros kam überraschend. In den letzten Monaten hatte er sich agil und unternehmenslustig gezeigt - und demonstriert, wie ruhig er Ziele mit dem Revolver fixieren kann
VON KNUT HENKEL
Am Montagabend unterbrach das kubanische Fernsehen sein normales Programm, um eine Proklamation des Staatschefs zu senden. Der lag zu diesem Zeitpunkt mit heftigen Magen-Darm-Blutungen im Krankenhaus, und sein Privatsekretär Carlos Valenciaga verlas die Botschaft des „Máximo Líder“. Alle seine Ämter und Befugnisse werde ab sofort sein jüngerer Bruder und Verteidigungsminister Raúl Castro übernehmen, denn er müsse sich mehrere Wochen nach einer notwendigen Operation schonen, so die Erklärung, die wenige Stunden später auch im Parteiblatt Granma abgedruckt wurde.
Demnach ist Castro ein Opfer seines Arbeitsprogramms. Die Reise nach Argentinien zum Mercosur-Gipfel Ende Juli hätte genauso wie die Feierlichkeiten zum 26. Juli, dem Jahrestag des Beginns der Revolution, dazu geführt, dass er „ohne Unterbrechung Tag und Nacht gearbeitet“ hätte. Extremer Stress habe zu den Magen-Darm-Blutungen geführt, so die Erklärung. Doch woran der Comandante wirklich leidet, ist vollkommen unklar. Magenblutungen aufgrund von Stress sind Medizinern zufolge nicht ungewöhnlich, aber aufgrund der kräftigeren Blutungen wird nicht nur in der Exilhauptstadt Miami über eine mögliche Magen- oder Darmkrebserkrankung Castros spekuliert.
Gleichwohl kommt die Nachricht der Erkrankung des kubanischen Staatschefs sehr überraschend. Gerade in den letzten Monaten hatte sich Castro sehr agil und unternehmenslustig gezeigt. Herzhaft gespottet hatte er über die ihm von den USA nachgesagte Parkinson-Erkrankung und vor Journalisten demonstriert, wie ruhig er sein Ziel mit dem Revolver fixieren könne. Vollkommen erholt von dem folgenreichen Sturz vom Oktober 2004 wirkte Castro da. In Santa Clara, jener Stadt, wo das Denkmal von Che Guevara steht, war er beim Verlassen des Rednerpults schwer gestürzt und hatte sich die Kniescheibe zertrümmert und den Ellbogen gebrochen. Doch dieser erste Unfall, dem ein Schwächeanfall im Jahre 2001 vorangegangen war, war für den alternden Revolutionär kein Grund, die Amtsgeschäfte ruhen zu lassen. Mehr als eine örtliche Betäubung akzeptierte er eigenen Aussagen zufolge nicht. „Ich wollte die Kontrolle behalten und meine Pistole, wenn notwendig, bedienen können“, rühmte sich Castro gegenüber Studenten.
Nun ist der „Comandante en Jefe“ erstmals seit über 47 Jahren gezwungen, die Kontrolle aus der Hand zu geben, und zwangsläufig beginnt die Diskussion um seine Nachfolge. In Miami, dem Klein-Havanna der Exilgemeinde rund um die Calle Ocho, wird bereits gefeiert. Der republikanische Abgeordnete Lincoln Díaz-Balart, entfernter Verwandter und erklärter Feind Fidel Castros, sieht das „Ende der Tyrannei näher kommen“. Und Carlos Alberto Montaner, ein bekannter exilkubanischer Journalist aus Madrid, spekuliert in ersten Kommentaren bereits über den Tod des bärtigen Revolutionärs.
Dass Fidel Castro, wie angekündigt, in einigen Wochen die Staatsmacht von seinem Bruder Raúl wieder übernehmen könnte, gilt im Exil als wenig wahrscheinlich. In Kuba wird die Rückkehr des Patriarchen jedoch nicht ausgeschlossen, so der Sozialwissenschaftler und Dissident Oscar Espinosa Chepe gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Er verweist zudem auf die starke Position der Militärs im zivilen Sektor, auf die sich Raúl und der innere Führungskreis aus der kommunistischen Partei (PCC) stützen können.
Dazu zählen der für die Wirtschaftspolitik zuständige Carlos Lage, der Chef der Nationalbank Francisco Soberón und Außenminister Felipe Pérez Roque. Roque ist der Einzige, der sich neben Raúl Castro in den letzten Monaten öffentlich zur Frage der Nachfolge und zum Überleben der Revolution geäußert hat. Seit dem November letzten Jahres ist diese Frage in Kuba kein Tabu mehr. Damals schnitt Castro höchstpersönlich das Thema während einer Rede an der juristischen Fakultät von Havanna an. Außenminister Pérez Roque übernahm es dann, die Debatte über das „Überleben der Revolution“ weiterzutragen. Spät ist Castro demzufolge in die Offensive gegangen, um seinem Albtraum von der Rückkehr und Übernahme der Insel durch die „Gusanos“, die Würmer aus dem Exil, zu verhindern. Und in den letzten Monaten hat er nicht nur bei Jugendveranstaltungen verstärkt für seine Revolution und deren Überleben geworben.
Doch der alte Mann hat wenig anzubieten. Zwar ist die kubanische Wirtschaft dank der Partnerschaft mit Venezuela, den guten Kontakten nach Lateinamerika und China in ruhigerem Fahrwasser angekommen, doch die Lebensbedingungen auf der Insel sind weiterhin alles andere als rosig. So gehören Versorgungsengpässe weiterhin zum Alltag dazu. Auch in den staatlichen Betrieben ist eine Selbstbedienungsmentalität, gegen die Castro in den vergangenen Monaten immer wieder Kampagnen initiierte, an der Tagesordnung. Und an den konkreten Lebensbedingungen wird der kubanische Staatschef gemessen werden, nicht an den sozialen Errungenschaften der Sechziger- und Siebzigerjahre – ein Dilemma, an dem die Übergangsführung um Raúl genauso wenig ändern kann wie ein genesender Fidel Castro.
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