: Neunzig Kilometer Ölteppich
Mindestens 15.000 Tonnen Heizöl treiben entlang der libanesischen und syrischen Küste. Die israelische Seeblockade verhindert Rettungsarbeiten
AUS BEIRUT MARKUS BICKEL
In Beiruts am Strand gelegenen Sporting Club stinkt es wie die Pest. Wie die Ölpest, um genau zu sein. An der kleinen Einbuchtung neben den großen Salzwasserschwimmbecken hat sich die schmierige schwarze Flüssigkeit festgesetzt. Arbeiter versuchen, die vom Öl verstopften Pumpen zu säubern. Zwei der drei Schwimmbecken sind leer.
Drei Wochen nach dem Beschuss des etwa zwanzig Kilometer südlich der libanesischen Hauptstadt gelegenen Elektrizitätswerks Dschije durch israelische Kampfflieger haben sich inzwischen rund 15.000 Tonnen Heizöl aus den Tanks des Kraftwerks entlang 80 der 220 Kilometer langen Küste Libanons verteilt. Der Ölteppich erreichte mittlerweile auch die syrische Küste, wo ein zehn Kilometer langer Küstenabschnitt verschmutzt ist. Das ergab die Auswertung neuer Satellitenbilder am Mittwochabend, berichtet das Umweltprogramm der Vereinen Nationen (Unep) in Nairobi.
Tierwelt und Ökosystem im ganzen Ostmittelmeerraum sind nun gleichermaßen von der Umweltkatastrophe bedroht. Nicht nur nach Zypern, in die Türkei und nach Griechenland drohe das Öl zu treiben, möglicherweise auch ins südlich des Libanons gelegene Israel, fürchten Umweltexperten.
Der libanesische Umweltminister Jakub Sarraf hatte schon vergangene Woche von der „größten Umweltkatastrophe, die das Mittelmeer jemals erlebt hat“, gesprochen. Dies könne nicht nur „furchtbare Folgen für unser Land, sondern für alle Länder am östlichen Mittelmeer haben“. Bisher hätten sich ähnliche Unfälle nur in offenen Ozeanen ereignet, aber nicht in einem geschlossenen Gewässer wie dem Mittelmeer, sagte Sarraf. Die Kosten für die Reinigung der libanesischen Strände und Buchten bezifferte der Minister auf etwa 35 bis 40 Millionen Euro.
Unep bezeichnete den Beschuss der beiden Tanks von Dschije als „Tragödie“ und sagte zu, „alles uns Mögliche zu tun, sobald diese dringenden Arbeiten möglich sind“. In einer Pressemitteilung hieß es: „Wir teilen die Sorge der libanesischen Behörden über die Auswirkungen.“ Umweltminister Sarraf zufolge sind durch die Umweltkatastrophe mehrere Tierarten vom Aussterben bedroht. Solange Israel seine Seeblockade aufrechterhalte, könne man nicht gegen die Ölpest vorgehen.
Vierzig Tonnen aus Kuwait geschicktes Material, um das Öl zu binden, stünden zum Einsatz bereit, säßen aber in Syrien fest, weil die syrischen Behörden bislang eine Einfuhrgenehmigung verweigerten. Nachdem kuwaitische Ölquellen während des Irakkrieges 1991 in Brand geschossen wurden, hatten Umweltexperten die Ausbreitung der im Persischen Golf schwimmenden Ölreste relativ zügig in den Griff bekommen. Experten schätzen, dass für jede mit Chemikalien gereinigte Tonne Öl etwa zehn Tonnen Giftmüll entstehen. Klaus Vrey von der deutschen Umweltfirma Global Concept hält deshalb den Einsatz biologisch abbaubarer Materialien wie Cytosol zur Behebung der Ölpest für sinnvoll. „Die meisten bekannten Säuberungsprodukte sind giftiger als das Mineralöl selbst. Der Schaden für Flora und Fauna ist schlimmer als nach der ursprünglichen Vergiftung, weshalb man sie nicht benutzen kann“, sagte er der englischsprachigen Beiruter Tageszeitung Daily Star am Mittwoch.
Der World Wild Fund for Nature (WWF) in Deutschland sprach am Dienstag von einer der drei schwersten Ölkatastrophen im Mittelmeer seit 1991, als der Öltanker „Haven“ im Golf von Genua in Brand geriet und große Teile der italienischen und französischen Riviera verschmutzte. Damals sei aber ein beträchtlicher Teil des Öls verbrannt und gar nicht erst ins Meer gelangt, sagte WWF-Experte Stephan Lutter in Hamburg. Nimmt man die bislang ausgetretene Ölmenge sei die libanesische Ölpest eher mit der Havarie der „Erika“ 1999 vor der Bretagne vergleichbar. Damals wurden mehr als 400 Kilometer Strand am Atlantik verschmutzt und 150.000 Seevögel getötet.
Aus einem der Tanks von Dschije läuft derzeit offenbar kein Öl mehr aus, ein zweiter mit rund 25.000 Tonnen Fassungsvermögen steht aber noch in Flammen und droht zu explodieren. Gaby Chalaf, Leiterin des libanesischen Meereszentrums, erklärte jedoch, es sei auch diese Woche immer noch nicht klar, ob das Öl eines zweiten Tanks ebenfalls ins Meer gelangt ist. Dann könnten möglicherweise bis zu 35.000 Tonnen Öl ausgelaufen sein.
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