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Vom eigenen Gefühl abgeschnitten

POSTHOLOCAUSTTHEATER Mehr als ein Stück: Für ihre Figuren in „Lunas Armband“ haben die Schauspielerinnen in ihren Familien geforscht

„Hätte es den Holocaust nicht gegeben, vielleicht wäre ich dann mit jüdischen Freunden aufgewachsen“, fantasiert eine der fünf Frauen, die sich in dem Theaterstück „Lunas Armband“ um einen eigenen Zugang zur Geschichte des Holocaust und ein Verhältnis zum Verlust der jüdischen Kultur bemühen.

Kurz nach diesem Satz streiten sie über die Romantisierung des Judentums, die Kritik an Israel und sind schon nach wenigen Sekunden beim Antisemitismusverdacht. Die Stimmen sind erregt, die Argumente knapp, keine Perspektive wird ausgelassen. Der Zuschauer ist vom Bombardement der Meinungen, Haltungen, Ängste und Abwehrreaktionen bald ebenso erschöpft wie die vor ihm die Diskussion Spielenden.

Mit dieser Szene, einem Ausschnitt bloß aus dem Stück „Lunas Armband“, stellte sich das Projekt Intimate Relations im English Theatre Berlin vor. Sie haben viel vor in den nächsten Tagen. Ab heute zeigen sie im Betsaal des Jüdischen Waisenhauses achtmal „Lunas Armband“, das mit den deutschen Schauspielerinnen in Improvisationen erarbeitet wurde. Eine zweite Produktion entstand mit vier jüdischen Frauen in New York, „Searching for a New Sun“, die sich aus ihrer Perspektive mit dem Reden und dem Schweigen über die Vergangenheit auseinandersetzen: Das wird in einer szenischen Lesung am 25. August im English Theatre Berlin präsentiert. Zwei weitere Termine gelten der Begegnung der beiden Ensembles.

Das Konzept für diese Parallelaktion haben die beiden Regisseure Mario Golden und Andreas Robertz entworfen; der eine stammt aus Mexiko, der andere aus Deutschland, in New York sind sie zusammengekommen. Die Selbstverständlichkeit, die jüdische Kultur heute in New York hat, und deren Fehlen in Deutschland brachte sie auf die zentrale Frage für das Projekt: Wie wirkt auch in der dritten oder vierten Generation nach dem Holocaust die Geschichte im Einzelnen fort?

Ihre fünf deutschen Schauspielerinnen haben diese Frage als Auftrag begriffen. Sie haben in den eigenen Familien recherchiert, teilweise durch das Theaterprojekt im Rücken mit größerer Sachlichkeit, als ihnen zuvor je möglich war. Fast jede erfuhr mehr, als ihr bisher klar war, über Verhaltensmuster von Eltern und Großeltern, über emotionale Blockaden im Umgang mit dem Thema. Dabei sind unter ihnen junge Frauen, die in der Schule die Thematisierung des Holocaust als Pflichtübung und moralisches Anliegen erlebt haben und sich dabei doch wie abgeschnitten vom eigenen Gefühl beschreiben. Aber auch eine Sozialwissenschaftlerin, die sich schon immer für politische Aufklärung engagiert hat, ist dabei und erlebte die Improvisationen, die distanzierten Interviews mit den Eltern, denen sie früher stets vorwurfsvoll begegnet sei, als Befreiung.

In den Gesprächen mit den Darstellerinnen merkt man bald, wie sehr sie sich das Projekt zu eigen gemacht haben. Es sind ihre persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse, aus denen der Regisseur Mario Golden zusammen mit der Autorin Beate Haeckl den Text gewoben hat. Das gibt ihrem Auftreten eine Dringlichkeit, die das inhaltliche Anliegen in den Vordergrund rückt. Das Theater wird zum Vehikel für eine gesuchte Auseinandersetzung – und so haben es die Regisseure ja auch gemeint und geben dem mit „An evening of Dialogue“ mit dem deutschen und dem New Yorker Ensemble und dem Berliner Publikum am 24. August im English Theatre Berlin ja auch einen Raum.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Lunas Armband“, ab 18. August im Jüdischen Waisenhaus, Berliner Str. 120/121, 20 Uhr. Mehr unter www.intimaterelationsproject.com

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