Prekariat: Formen des Widerstands
Als Massenbewegung haben sich die Prekarisierten in Berlin zwar noch nicht formiert. An Aktionsformen mangelt es ihnen dennoch nicht. Sie nennen sich die „Überflüssigen“, fahren öffentlich schwarz und haben auch schon mal dazu aufgerufen, das Prinzenbad zu stürmen. Und von Zeit zu Zeit gibt es „Umsonst-Buffets“ am Hermannplatz. Einige Beispiele.
Die „Überflüssigen“ treten meist mit roten Kapuzenpullovern und weißen Masken auf. Sie kommen unangekündigt. Im Dezember 2004 besetzten sie zum Beispiel das Nobelrestaurant „Borchert“ am Gendarmenmarkt, im März 2005 eine Lidl-Filiale in Kreuzberg. Den Namen „die Überflüssigen“ wählten sie, weil sie sich als Menschen verstehen, die in einem „profit-fanatischen System überflüssig gemacht werden“ (www.ueberflüssig.tk).
Das Recht auf Mobilität wurde bereits von der Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts gefordert. In den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es die Rote-Punkt-Aktion. Im Zuge von Fahrpreiserhöhungen klebten Aktivisten einen roten Punkt auf die Windschutzscheibe und signalisierten so ihre Bereitschaft zu Fahrgemeinschaften. Parallel verübten die Revolutionären Zellen Brandanschläge auf Schwarzfahrerkarteien, zerstörten Fahrkartenautomaten und hinterließen als Signatur einen roten Punkt.
Ganz so militant geht es heute nicht mehr zu. Linke Initiativen haben die Forderung nach Mobilität dennoch aufgegriffen und die Kampagne „Pinker Punkt“ gegründet. „Keinen Fahrschein und trotzdem keine Angst vor Kontrollen“, werben die InitiatorInnen. Dabei verabreden sie sich zum gemeinsamen Schwarzfahren und verteilen den BVG-Fahrkarten täuschend ähnlich sehende Tickets, auf denen „zum Nulltarif“ steht. Der pinkfarbene Punkt dient als Erkennungsmerkmal für alle, die umsonst ans Ziel wollen. (www.nulltarif.tk)
Im Zuge der Sparpolitik des rot-roten Senats entstand auf außerparlamentarischer Seite die Kampagne „Berlin Umsonst“. Ihr Markenzeichen: die Südseepalme. Angefangen haben sie mit der Erstürmung des Prinzenbads, nachdem die Bäderbetriebe die Eintrittspreise fast verdoppelt hatten. Später wurden die AktivistInnen häufig auf Gewerkschaftsdemonstrationen gesehen. Ihr Slogan: „Alles für alle, und zwar umsonst.“(berlinumsonst.twoday.net)
Längst ist für die Umsonst-AktivistInnen auch Merchandising kein Tabu mehr. „Yo mango“ heißt deren Marke, kommt aus dem Spanischen und heißt übersetzt: „Ich klaue“. Ihr Merkmal: Sie tragen selbst genähte überdimensionale Hängetaschen. Sie gehen in Supermärkte, stopfen sich die Tasche mit köstlichen Delikatessen voll und verteilen das Essen anschließend vor dem Eingang. Geld wird der Kassiererin natürlich nicht hinterlassen. Dafür aber manchmal eine kleine Ansteckrose.
Jährliches Highlight der Prekarisierten: der Mayday. Bisher gab es ihn vor allem in Italien und Spanien. In Berlin hat es in diesem Jahr am 1. Mai den ersten Mayday gegeben. Höhepunkt ist eine Parade mit geschmückten Wagen. „Der Mayday soll das prekarisierte Proletariat auf die Straße bringen und gleichzeitig der Kristallisationspunkt für allerlei Organisierungs- und Diskussionsprozesse im sozialen Alltag sein“, heißt es in der Selbstbeschreibung. 8.000 Menschen fühlten sich beim ersten Mal angesprochen. FELIX LEE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen