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Zu Besuch bei Kürbiskernen

Gestern ging die Sommertour „Soziale Stadt“ von Bausenator Ronald-Mike Neumeyer zu Ende. Eine Station auf seinem Weg war Tenever: Dort erfährt er, was im „richtigen Leben“ wichtig ist

von Eiken Bruhn

Ganz am Ende muss der Mann mit der großen Brille noch etwas loswerden. Das mit den Kürbiskernen. Seit zwei Stunden folgt er dem Trupp, mit dem Bausenator Ronald-Mike Neumeyer (CDU) durch sein Wohnviertel gezogen ist, hat Auskunft gegeben, wenn er gefragt wurde und ansonsten den Besuch mit der Kamera dokumentiert. Neumeyer isst Kuchen im Mütterzentrum, Neumeyer genießt die Aussicht auf dem höchsten Hochhaus, Neumeyer bestaunt einen begrünten Innenhof, und jetzt steht Neumeyer im Bewohnertreff für letzte Fragen zur Verfügung. Der Mann nutzt die Gelegenheit. „Das wird Dir jetzt nicht gefallen, Barlo“, sagt er zu Joachim Barloschky, den man auch „Mr. Tenever“ nennen könnte, weil er sich zunächst als Bewohner und später von Amts wegen seit den 80er Jahren für die Hochhaus-Siedlung am Stadtrand in die Bresche wirft. Sein Mantra: Tenever ist tausend Mal besser als sein Ruf. Und vor allem: Ein Muster-Beispiel dafür, wie mittels Bürgerbeteiligung Konflikte gelöst werden können, auch zwischen den Kulturen.

An diesem Dienstagnachmittag schwört er den Bausenator auf „seinen“ Stadtteil ein, der sich auf seiner Sommertour ein eigenes Bild machen will vom Erfolg der Sanierungsbemühungen. Weil es dabei nicht nur um abgerissene Hochhäuser und neue Hauseingänge geht, hat Barloschky auch kein Problem mit dem, was der Mann mit der Kamera auf dem Herzen hat. Er weiß schon, worum es geht. „Nee, mach ruhig, erzähl mal aus dem Leben“, fordert er den Mann auf, der wie so viele seiner Nachbarn arbeitslos ist. Was dann kommt, ist allerdings halb so wild. Keine Schimpftirade auf die kürbiskernspuckenden Ausländer aus seinem Haus, sondern nur die Enttäuschung darüber, dass „diese Leute“ trotzdem bleiben dürfen, sogar eine neue sanierte Wohnung bekommen, wie er gerade anhand der Klingelschilder erkannt hat.

Die Reaktion kommt prompt, allerdings nicht von Barloschky, sondern von Ralf Schumann, Geschäftsführer der extra für den Umbau des Viertels gegründeten „Osterholz-Tenever-Grundstücksgesellschaft (OTG)“ – die über zwei Umwegs-Gesellschaften Bremen gehört. Damit ist Schumann der Vermieter der Wohnungen, zumindest in den Augen der Bewohner. Der Vermieter redet Tacheles. „Wir können hier nicht aussieben, wenn wir gleichzeitig so viel Leerstand haben“, sagt er. Zwar hoffe auch er, dass Tenever keine „Hartz-IV-Hochburg“ wird, aber noch stehen die Mitarbeiter von Daimler-Chrysler eben nur im Traum Schlange. Und von wegen der Kürbiskerne – dazu hat auch der Senator etwas zu sagen, der bisher mehr zugehört als geredet hat. Die Reihenhäuser, die hoffentlich einmal da gebaut stehen werden, wo vor zwei Jahren die Kessler-Blocks abgerissen worden waren, „da muss man sich nichts vormachen, wer da einziehen wird“, sagt Neumeyer. „Das werden Türken sein, die in Tenever aufgewachsen sind und sich hier wohl fühlen.“ Dieselbe Entwicklung habe es auch schon in Bremerhaven gegeben. „Da war das Entsetzen in der Nachbarschaft erst mal groß“, sagt Neumeyer ganz nüchtern. Mittlerweile hätten sich die Nachbarn beruhigt und festgestellt, dass zwischen türkischen und deutschen Eigenheimbesitzern kein Unterschied besteht. „Da fehlen bloß noch die Gartenzwerge.“

Den Teneveranern wird bald noch etwas anderes fehlen: Geld für ihre Projekte und Werkstätten, weil die große Koalition die Fördertöpfe für benachteiligte Viertel schrumpfen lassen will. Auch in diesem Punkt ist Neumeyer sehr deutlich: Das Geld sei dazu da gewesen, um Tenever auf die Füße zu helfen, jetzt seien andere dran mit dem Bezahlen. Wer das sein soll, sagt er nicht.

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