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Hoch hinaus in die Tiefe

Die höchste freistehende Rolltreppe Deutschlands auf der alten Essener Zeche Zollverein ist fertig

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Gäbe es auf dem Mond Rolltreppen, wäre wahrscheinlich von der längsten freistehenden Rolltreppe des Universums die Rede gewesen. Noch ist der Mond aber rolltreppenfrei. Und so superlativten Theo Grütter und Ulrich Borsdorf in ihrem Konzept zum neuen Ruhrmuseum auf der Essener Zeche Zollverein bloß von der „längsten freistehenden Rolltreppe der Welt“, die Besucher künftig in die ehemalige Kohlenwäsche hieven werde. Das Ruhrmuseum wird dort Ende 2007 eröffnet; die Rolltreppe ist bereits fertig. Und ja, sie ist lang. Aber laut Pressemitteilung nun doch nicht die längste, sondern die höchste. Und auch nicht der Welt, sondern Deutschlands.

Am Zorn der Denkmalschützer hätte diese Feinheit jedoch wohl wenig geändert. Das Lamento war ausführlich, als die Pläne zum Umbau der alten Kohlenwäsche publik wurden. So ausführlich, dass puristische Denkmalschützer gar die Unesco auf den Plan riefen, die Zollverein im Jahre 2001 zum Weltkulturerbe ernannte. Zwischenzeitlich stand der Titel auf dem Spiel. Bis Anfang vergangenen Jahres Michael Petzet, der Weltpräsident des Internationalen Rats für Denkmalpflege (Icomos), zur Visite kam, eine Gefährdung des Weltkulturerbes aber nicht erkennen konnte. Eine Rolltreppe? Kein Problem. Schließlich sei sie reversibel, könne also jederzeit wieder abgebaut werden.

Nun wurde sie aber erst mal aufgebaut. Schräg ragt ein gläserner Schlauch an die Kohlenwäsche heran. In seinem Innern verbergen sich zwei 58 Meter lange Rolltreppen in Hollandorange, eine führt rauf, eine runter. Und wer nicht fahren will, kann die 136 Stufen der dazwischen liegenden Stahltreppe steigen. 220 Tonnen wiegt dieser Koloss aus Glas und Stahl insgesamt. Während man sanft in gut 90 Sekunden auf 24 Meter gehoben wird, geht der Blick über Essen, über Wälder und Wipfel und Häuser und Zechen, bis er sich im Horizont verliert.

Oben angekommen läuft der Besucher künftig stracks auf eine dunkelrote Theke zu, die ab Ende des Monats, wenn die visionäre Designmesse „Entry 2006“ eröffnet wird, als Besucherzentrum und Ausgangspunkt aller Industrietouren dienen soll. Im künftigen Ruhrmuseum befindet sich hier oben quasi die erste Etage, was einen rein metaphorisch-künstlerischen Grund hat: Oben, erklärte Borsdorf einmal, befinde sich die Gegenwarts-Abteilung des Museums, von der aus sich der Besucher – reichlich symbolisch – in die Historie der Region hinab graben solle.

Bis es soweit ist, wird noch viel passieren auf Zollverein. Derzeit wuseln überall Bauarbeiter. Pflastern. Schweißen. Wischen. Zunächst deshalb, weil in der kommenden Woche ein so genanntes Rolltreppenfest gefeiert werden soll. Ein Rolltreppenfest! Das hat es, wenn überhaupt, vermutlich seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Schließlich wurden die ersten Fahrtreppen, die erst später ihren heute geläufigen Namen erhielten, bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika gebaut. Durch die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 gelangten sie zu mehr Popularität und wurden fortan insbesondere in Kaufhäusern und Bahnhöfen integriert.

Das Fest aber soll auch dazu dienen, die Kritiker zu überzeugen. Manche hätten das Museumsgebäude lieber als das erhalten, was es einst war: als Kohlenwäsche. Unverändert, aber zugänglich, damit es für sich selbst stehe und als überdimensionales Exponat Geschichte erzähle. Dass Architekt Rem Koolhaas etliche Veränderungen vornehmen, unter anderem jene Rolltreppe durch die Außenhaut stechen wollte, ließ sie schaudern. Humbug: Schon von der Straße aus sieht man die gläserne Gangway – aber sie stört nicht. Durch ihre den Kohleförderbändern nachempfundene Optik fügt sie sich ins Gesamtbild ein. Es ist eine Art architektonisches Mikado entstanden: Eines dieser Förderbänder kreuzt oberhalb der Rolltreppe. Ein anderes führt rechts an die Kohlenwäsche heran. Das passt. Und die Kohlenwäsche mit neuem Leben zu füllen, dürfte ihr auch nicht schaden. Die Generalprobe beginnt am 26. August: Dann zieht vorübergehend die „Entry“ ein.

Rolltreppenfest, 19. August 2006,ab 17 Uhr, Zeche Zollverein, EssenInfos: 0201-830360

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