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Belgrad, die Partystadt?

SERBIEN Zwischen House und Rock und Bands, die DJs ersetzen – Belgrad feiert. In Diskobooten auf Save und Donau hört man immer noch den Turbofolk. High Heels, tiefes Dekolleté, Goldketten sind dort obligatorisch

Die Klubs

Bitef Art Café Summer Stage: Open-Air-Klub in der Festung Kalemegdan. Im Sommer gibt es regelmäßig Konzerte und DJ-Nächte. Kalemegdan, Skver Mire Trailovic1.

Blaywatch: Berüchtigtes Hausboot am Donauufer des Stadtteils Zemun. Vorsicht, Turbofolk! Zemunski Kej, Nähe Hotel Jugoslavija.

Hotel Moskva: Das älteste Hotel am Platze und eine architektonische Stilblüte. Im Café des Hotels wird zu Pianomusik türkischer Kaffee in der Rezva serviert. Hier debattieren die alten Herren. Terazije 20.

Kafana „?“: Die älteste Kafana (Kaffeehaus) Belgrads und ein absolutes Muss. Im Garten kann man sich traditionelle Speisen zu günstigen Preisen servieren lassen. Kralja Petra 6.

Rakia Bar: Bar mit Schnäpsen über 100 verschiedenen Geschmacksrichtungen. Sehr empfehlenswert ist ein Sljivovica/Pflaumenschnaps mit Honig. Kralja Milutina 4.

Supermarket: Concept Store, Bar, Café. Hier kann man die Werke junger Designer aus Serbien bestaunen und kaufen. Jeden Sonntag Brunch mit DJ. Visnjiceva 10

VON SONJA VOGEL

Belgrad ist eigentlich für schlechte Nachrichten bekannt. Doch jede Nacht tummeln sich Hunderte von Menschen auf der mittelalterlichen Festung Kalemegdan im Zentrum Belgrads. Im Mondschein zeichnen sich die Umrisse derer ab, die auf den Mauerresten sitzen. Zu ihren Füßen mündet die Save in die Donau. Bei Tageslicht kann man von hier bis weit in die Tiefebene der nordserbischen Vojvodina blicken. Friedlich war es hier nicht immer. Im Gegenteil, über Jahrhunderte war die Festung von den verschiedenen Großmächten besetzt gewesen, die über den Balkan zogen. Heute erinnern nur noch einige in einem Graben ausgestellte Kanonen an die Auseinandersetzungen. Sie dienen nun Kindern als Spielgerät.

Im Inneren der Festung lässt lautes Bassgewummer die Luft erzittern. Srdjan Isaljovic führt durch die Ruinen. Der Student gehört zum Netzwerk der „Global Greeters“, das Besucher mit interessierten Einheimischen zusammenbringt. „Wir Belgrader kennen unsere Stadt besser als professionelle Touristenguides“, erklärt Srdjan. Über Besucher aus dem Ausland freut er sich ganz besonders. Er weiß um den schlechten Ruf der Stadt und witzelt: „Jeder ist überrascht, dass man hier Spaß haben kann.“

Um das zu beweisen, führt uns Srdjan in die Sommerresidenz des legendären Bitef Art Cafes, eines Klub, der sich im Winter in der Spielstätte des Internationalen Belgrader Theaterfestivals (Bitef) befindet. Hier tanzen zu ohrenbetäubender Musik, die irgendwo zwischen House und Rock hin- und herpendelt, Hunderte von Menschen unter freiem Himmel. Die Festungskulisse ist atemberaubend. Die Gemäuer erzittern unter den Beats, aber um die jahrhundertealte Bausubstanz sorgt sich niemand. Wer nicht tanzen will, kann es sich auf einem Podest mit weißen Couchgarnituren gemütlich machen.

Statt Konservenmusik spielt eine Band die halbe Nacht hindurch Coversongs. Sie beherrscht ihr Handwerk. Gewöhnungsbedürftig ist es trotzdem, bleiben Coverbands in Deutschland doch eher den Besuchern von Bierzelten vorbehalten. Dass Bands DJs ersetzen, hat hier Tradition. Srdjan erklärt, dass in den Neunzigern üblich war, sich zu spontanen Konzerten in den vielen Belgrader Parks zu treffen. Bis heute treffen sich junge Belgrader außerhalb der Bars, um das Geld für Getränke zu sparen.

Das Bitef Art Cafe ist nur eines von vielen Belgrader Open-Air-Klubs. Im Sommer findet das Leben auf der Straße statt. Neben den unzähligen Cafés der Innenstadt sind vor allem die Hausboote, sogenannte Splavovi, beliebte Partyorte. Dutzende von ihnen liegen am Ufer der Save und der Donau. Während manche einmal seetauglich waren, wurden die meisten vor Ort gebaut und verankert. Sie werden lediglich von Fässern getragen. Über wacklige Stege erreicht man die Restaurants, Cafés und Diskoboote, die manchmal sogar mehrstöckig sind.

Im Sommer sind sie die ganze Nacht geöffnet. Die Begründung liefert Dima Bulatovic: „Den Sonnenaufgang über dem Fluss muss man einmal im Leben gesehen haben!“ Er hat sich mit einem Caféboot selbstständig gemacht und verbringt dort nun jeden Tag. Eigentlich hat Dima ein hochkarätiges Studium für internationales Management abgeschlossen. Da er den Absprung ins Ausland nicht geschafft hatte, sattelte er um – wie viele hier. „So ein Splav ist auch ein Business“, sagt er schulterzuckend.

Dass das Geschäft floriert, kann man nachts am Dunavski kej, der Donaupromenade, beobachten. Ein Dutzend Boote erzeugt eine ohrenbetäubende Kakofonie aus House-, Techno- und Rockmusik. Im Wasser spiegeln sich die Stroboskoplichter. Trotz der Entfernung von bis zu 30 Metern zwischen Festland und Booten vibriert die Uferpromenade unter den Füßen der Wartenden. Da die Stege schmal und vielfach ohne Geländer sind, werden die Gäste nur in kleinen Grüppchen hinübergelassen. Der Dresskode ist hier moderat, die Getränkepreise sind es ebenfalls.

Ganz anders in der Strahinjia Bana, einer Straße im Stadtteil Dorol, in der ein Klub neben dem anderen liegt. Die berüchtigte Ausgehmeile wird abschätzig „Silicon Valley“ genannt – nach den angeblichen Brust-OPs des weiblichen Teils jener Schickeria, die in der Zeit der jugoslawischen Bürgerkriege mit dubiosen Geschäften zu Geld und Einfluss kam. Noch heute flanieren nachts die teuersten Autos die Straße entlang.

Die Haltung zur Strahinjia Bana teilt die Belgrader. „Wir haben die Straße lange gemieden, weil hier der Turbofolk regierte“, sagt Dima. Zum Verständnis der Belgrader Stadtkultur, aber auch der politischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ist Turbofolk ein Schlüsselbegriff. Irgendwo zwischen Folklore und elektronischer Musik angesiedelt, verdrängte der Turbofolk zu Beginn des Bürgerkrieges die etablierte jugoslawische Rockmusik und deren international ausgerichtete Kultur. Vielen galt er als Soundtrack des Krieges. Die einen lebten Musik und Ästhetik der Turbofolk-Starlets, die anderen verachteten sie als primitiv und unmoralisch.

In niemand anderem als dem Megastar Ceca, Witwe des serbischen Kriegsverbrechers Arkan, die unter Präsident Slobodan Milosovic das TV-Programm dominierte, wurde die Symbiose von Nationalismus und Popkultur deutlicher. Nicht zuletzt deshalb hatte Musik in den Neunzigern in Serbien eine politische Komponente: Durch die Vorliebe für einen bestimmten Stil zeigten die Jugendlichen ihre Haltung zum Krieg und zur nationalistischen Elite. Noch heute ist die Belgrader Klubwelt geteilt: einerseits die Rock- und Elektroläden der Innenstadt und Neu-Belgrads, andererseits die Klubs der Strahinjia Bana und die Hausboote der Save.

Mehr als durch den oft obszönen musikalischen Mix aus Elektro, Pop und Folklore zeichnet sich der Turbofolk heute durch einen rigiden Dress- und Verhaltenskode aus. Wer ihn also post mortem erleben will, sollte vor allem seine Kleidung danach auswählen, denn ohne High Heels, tiefes Dekolleté, Goldketten und Sonnenbrille hat noch niemand den Bodycheck der Türsteher von Diskobooten wie „Blaywatch“, „Acapulco“ oder „Amsterdam“ bestanden.

lrgendwo zwischen Folklore und elektronischer Musik angesiedelt, verdrängte der Turbofolk zu Beginn des Bürgerkrieges die etablierte jugoslawische Rockmusik

Krieg und Isolation nahmen die Musikkultur stark mit. Staatliche Subventionen, wie es sie im sozialistischen Jugoslawien für die international angesehene Rockszene gab, versiegten. Der staatliche Druck auf die jugoslawisch geprägte Szene wurde immer stärker. Die Jungen, Ambitionierten und gut Ausgebildeten verließen, sobald es ging, das Land. Für die, die blieben, wurde das Partyleben umso wichtiger. „Wenn es zu Hause keinen Strom gab, hatte das nächste Café ein Notstromaggregat.“ Ein Leben, in dem an ein Morgen kaum zu denken war, scheint die Leute feierwütig gemacht zu haben. Der Kühlschrank war leer, doch die Cafés blieben voll. Auch heute liegt der Durchschnittslohn in Belgrad kaum über 350 Euro. Davon etwas zurückzulegen ist unmöglich.

„Darum investieren wir in Kaffee, Zigaretten und Bier“, meint Dima ironisch. Auch die Visumspflicht, die für Serbien zum Jahreswechsel vonseiten der EU aufgehoben wurde, hat an der Perspektivlosigkeit wenig geändert. Dass die qualifizierten jungen Serben das Land abermals verlassen, befürchten hier viele.

Dass es vielleicht nicht so sein wird, zeigt Jelena Malecevic mit ihrem Beispiel. Die junge Modedesignerin präsentiert im Concept Store „Supermarket“ (geschrieben in kyrillischer Schrift) zwischen extravaganten Einrichtungsgegenständen und einer meterlangen weißen Bar ihre neueste Kollektion. Der frühere Supermarkt kommt nach der Entkernung im Retrochic daher. Hier entsteht eine neue Welt, die sich drinnen kaum vom Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg unterscheidet.

Draußen aber wühlen Kinder in den Müllcontainern nach Verwertbarem. Doch Jelena hat es geschafft. Mit ihrem Label Morfium schaffte sie es bis nach Mailand und kam trotzdem zurück nach Belgrad. „Wir tun den jungen Leuten gut“, erklärt sie ihren Schritt. „Alle sollen sehen, dass wir Bestandteil der globalisierten Welt sind.“

Dies wird eine Annäherung abseits der Balkanklischees erleichtern. Bei einem Besuch kann man sich davon überzeugen, dass Belgrad endlich wieder auf dem Weg ist, eine Weltstadt zu werden.

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