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„Am liebsten nur Waldhüter“

WIPFEL Der Forstrebell Peter Wohlleben aus der Eifel-Gemeinde Hümmel verzichtet auf Kahlschläge und Gifte gegen sogenannte Schädlinge. Ein Gespräch über überflüssige Jagd und einen Wald, der längst keiner mehr ist

Peter Wohlleben

■ Person: Geboren 1964 in Bonn, aufgewachsen in Sinzig am Rhein. Studium der Forstwirtschaft, Beamter. Seit 2006 Angestellter der Gemeinde Hümmel in der Eifel.

■ Schaffen: Peter Wohlleben ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Der Wald. Ein Nachruf“, erschienen im Ludwig Buchverlag, 2013. Seine Internetseite: www.peter-wohlleben.de

VON WALTER SCHMIDT (GESPRÄCH) und LENA BÖHM (Fotos)

Am Forsthaus von Hümmel hängt keine übliche Jagdtrophäe, sondern ein Elchgeweih aus Nordschweden. Der in Bonn geborene Peter Wohlleben (49) hat es vor Jahren aus Lappland mitgebracht und gegen das früher am Giebel fixierte Rothirschgeweih ausgetauscht. So ist es dem Gegner der hierzulande üblichen Jagd bedeutend lieber. Außer vier Ziegen leben noch zwei Pferde, einige Kaninchen und Hühner sowie Honigbienen beim Forsthaus – und drinnen der 16 Jahre alte Cockerspaniel Barry. Tochter und Sohn der Wohllebens studieren Geografie in Bonn. Zum Interview am Holztisch der Küche serviert der 1,95 Meter große Forstkritiker und Buchautor („Der Wald – ein Nachruf“) Kräutertee. Die Gesprächspausen füllt das Knistern eines Feuers, das den Herd erhitzt. Morgens wird darauf Kaffee oder Teewasser gekocht. Die Wintertage in der Nordeifel sind frostig.

sonntaz: Herr Wohlleben, bereits mit sechs Jahren wollten Sie Naturschützer werden. Warum nicht Lokführer, Polizist oder Pilot?

Peter Wohlleben: Als kleines Kind habe ich in Kiesgruben Frösche und Molche gefangen und beobachtet. In meinem Zimmer stand ein Aquarium mit Wasserschildkröten, und in Gläsern hielt ich Spinnen. Etwas mit Natur wollte ich deshalb später auch im Beruf machen.

Waren Sie auch schon viel im Wald?

Ich hab manchmal den ganzen Tag lang mit Freunden dort gespielt, Büdchen gebaut, auch verbotenerweise Feuer gemacht. Damals gab es ja noch keine Smartphones und Spielkonsolen, da musste man raus in den Wald und sich die Abenteuer selber basteln.

Heute bewirtschaften Sie für die Gemeinde Hümmel, 472 Einwohner, knapp 13 Quadratkilometer Wald ökologisch. Kann man dabei die Natur schützen, selbst als Ökoförster?

Nein, kann man nicht. Wie ja auch ein Biobauer kein Naturschützer sein kann, denn er produziert Lebensmittel so wie ein Förster Holz. Aber man kann Totalreservate und schonend genutzte Waldteile so kombinieren, dass es auf einen Kompromiss hinausläuft, mit dem auch die Natur zufrieden sein kann.

Sie wollten anfangs Biologie studiert, haben sich dann aber für Forstwirtschaft entschieden – und sich über manches gewundert.

Im Grunde hatten wir reinen Frontalunterricht wie am Gymnasium auch, nur mit noch weniger Diskussionen. Im Rückblick ist klar, dass wir auf Linie gebracht werden sollten, Befehl und Gehorsam! Und bald kamen grüne Uniformen dazu, worauf ich stolz war, denn damit ist man ja schon mal jemand als junger Kerl. Und Waffen durften wir auch tragen! Damals habe ich überhaupt nichts hinterfragt. Das ist erst später im Wald gekommen, wo ich als intelligenter Mensch nichts mehr verstanden habe.

Die ersten zwanzig Jahre waren Sie verbeamteter Förster; erst ein Bürojob im Eifel-Städtchen Adenau, danach, ab 1991, schon gleich als Revierleiter in Hümmel.

Ich habe hier schon nach ein oder zwei Jahren meinen Freiflug begonnen, also weg von den staatlichen Vorgaben. Irgendwann gab es richtig bösen Ärger – und so begann mein Ausstieg.

In Ihrem Buch schreiben Sie, die klassische Forstwirtschaft schütze unsere Wälder nicht, sondern beute sie aus. Was genau stank Ihnen?

Vieles, aber vor allem der Gifteinsatz gegen Borkenkäfer, der bis heute anhält. Schlagholz, das im Wald auf den Abtransport wartet, wird mit üblen Insektiziden besprüht, wobei der Giftnebel Hunderte von Metern weit verweht werden kann und monatelang wirksam ist. Das Gift tötet alles an Insekten, was damit in Berührung kommt. Eingebrannt hat sich bei mir auch, wie ich damals mit dem ökologisch so wertvollen Totholz umgegangen bin. Das war für mich bloß zum Verfeuern da – weg damit. So was tut mir bis heute leid. Auch dass ich Mäuse auf Kahlschlägen mit Giftködern bekämpft habe. Halt so, wie ich es gelernt hatte: Der Förster muss alles regeln, bis runter zur Maus.

Die erste Holzernte im Revier mit dem schweren Vollernter oder Harvester empfanden Sie sogar als großen Spaß.

Das hat mich anfangs echt fasziniert. Ich kann meine Kollegen bis heute auch gut verstehen: Da kommt so eine große Maschine und rauscht nur so durch das Holz. Das brummt, das dröhnt, das geht ratzfatz – eine irre, atemberaubende Technik!

Da jubelt der kleine Junge im Förster...

Klar. Großmaschinen sind Männerspielzeuge, und die wenigsten Förster sind Frauen. Ich bin mir sicher, diese Technikbegeisterung ist für einen großen Teil des Maschineneinsatzes verantwortlich, denn wirtschaftlich lohnt der sich nicht.

War das einer der Gründe, warum Sie damals jährlich auf jedem Hektar Wald etwa hundert Euro Verlust machten?

Schuld daran war insgesamt diese bis heute gängige, brutal schlechte und kranke Plantagenwirtschaft – wir reden ja hier nicht wirklich von Wald! Solche Forsten sind so instabil, dass ständig Bäume umfallen, und dann kommt schnell der Borkenkäfer in die Bestände. Laufend muss irgendetwas geregelt werden; das kostet ein Schweinegeld. Uns wurde aber damals gesagt, der Wald ist krank, der muss gestützt werden und braucht unsere Pflege. Und das darf ruhig auch was kosten!

Ihre Kritiker halten Ihnen entgegen, nur auf Rotbuchen im deutschen Wald zu setzen rechne sich nicht. Fichten brauche man schon für die vielen Dachstühle; Eichen seien zu teuer und brauchten 250 Jahre, bis sie schlagreif sind. Ein Waldbauprofessor sagte am Telefon sogar, Sie seien ein „Naturromantiker“.

Ja, ja, das höre ich öfter, aber diese Leute kennen unsere Betriebszahlen im Detail ja gar nicht. Wir haben hier zuletzt jährlich etwa 300.000 Euro Gewinn im Revier gemacht. Und man muss auch die Zeitschiene sehen: Wie lange also rechnet sich die jeweilige Wirtschaftsweise – und wer zahlt die Betriebskosten wirklich? Der Anbau von Fichten ist unterm Strich ein Zuschussgeschäft. Am teuersten nämlich ist die Aufforstung, nur zahlt die in der Regel der Steuerzahler – nur dann kann man mit Fichten Geld verdienen. Und dort, wo Fichten nicht mehr per Kahlschlag abgeholzt werden, erledigt das der Sturm: Die Hälfte dieses Holzes fällt nämlich in Stürmen an. Diese Folge falschen Waldbaus gilt dann als Naturkatastrophe, sodass die Aufforstung aus Steuermitteln subventioniert wird, übrigens auch im Privatwald.

Schon 1971 hat der Tierfilmer Horst Stern in seinen legendären „Bemerkungen über den Rothirsch“ angeprangert, Renditedenken habe „aus dem Wald eine baumartenarme, naturwidrige Holzfabrik gemacht“. War dieser Mann denn nicht rechtzeitig ein Leitstern für Sie, ein Vorbild?

Von seiner völlig berechtigten Kritik habe ich in der Tat erst später gehört. Und seitdem hat sich die Situation sogar noch deutlich verschlechtert!

Wieso das denn?

Weil die Wildbestände noch stärker gewachsen sind. Vor vierzig Jahren kamen die Wildschweine nicht bis in die Vorgärten. Das liegt ausschließlich an der Wildfütterung durch Jäger. Der Ökologische Jagdverband hat einmal ausgerechnet, dass pro Kilo Wildschweinfleisch auf dem Teller über zwölf Kilo Körnermais in den Wald gekarrt werden, dreimal so viel wie in der konventionellen Tiermast. Das ist eine Art Massentierhaltung im Freien! Die Bestandszahlen liegen jedenfalls beim Fünfzigfachen des natürlichen Niveaus, auch bei Rehen und Hirschen.

Schon in den ersten Jahren in Hümmel empfanden Sie die übliche Forstwirtschaft als Irrweg und sich selbst weiter denn je entfernt von Ihrem Kindheitstraum, die Natur zu schützen. Wie haben Sie gegengesteuert?

Zunächst, indem ich immer weniger alte Buchen fällen ließ und das irgendwann ganz stoppte, ohne Absprache mit dem Forstamt. Von dort kamen bald Mahnungen, doch endlich wieder ein paar dicke Buchen zu liefern, aber das Schöne an Verwaltungen ist ja ihre Trägheit, und die machte ich mir hier zunutze.

Haben Sie damals schon mit Rückepferden gearbeitet und auf Kahlschläge verzichtet?

Ja. Außerdem brachte ich die Gemeinde Hümmel dazu, nicht mehr mit Harvestern zu arbeiten. So ging es Schritt für Schritt in Richtung ökologischer Waldbau. Wir pflanzen seit zwanzig Jahren auch keine Nadelbäume mehr, obwohl das Forstamt Douglasien in die alten Buchenbestände einsetzen wollte. Für all das und mehr haben wir schließlich als eine der ersten Gemeinden in Deutschland das FSC-Holz-Ökosiegel bekommen. Doch gleichzeitig wuchs der Druck von der Forstbehörde immer mehr.

Das äußerte sich ja auch darin, dass Sie über Ihre Erfolge, gerade die wirtschaftlichen, nicht mehr öffentlich reden sollten. Warum nicht?

Na ja, ich hatte auch öffentlichkeitswirksam die Presse und das Fernsehen eingeschaltet. Das Argument meines Vorgesetzten war, dass ich durch meine Arbeit die Förster in anderen Revieren unter Druck setze, weil diese nicht so viele Erfolge vorweisen konnten.

Kam auch Druck von Jägern?

Der kommt bis heute, weil ich die Jäger ganz klar als Verursacher dieser ganzen Misere im Wald an den Pranger stelle. Weil sie eben auf hohe Bestände von Hirschen und Rehen setzen, die aber die ganzen Laubbäume auffressen, vor allem den Jungwuchs. Auch deshalb haben wir ja so viel Nadelholz im Wald, weil unsere größten Pflanzenfresser Nadellaub nicht sonderlich mögen. Deshalb habe ich seit Langem für höhere Abschusszahlen plädiert, bin aber mittlerweile sogar für ein großflächiges Jagdverbot, weil das meines Erachtens viel effektiver wäre.

Sie vergrätzen die Jäger in der Region ja auch damit, dass Sie vor zwölf Jahren eine „Bürgerjagd“ eingeführt haben. Was ist das Besondere daran?

Das Jagdausübungsrecht ist dort nicht länger auf einen Jagdpächter übertragen, sondern die Bürger üben es selbst aus. Dabei berufen wir uns auf ein altes Bürgerrecht, das theoretisch jeder in seiner Heimatgemeinde ausüben dürfte. Normalerweise ist im deutschen Wald die Jagd mit hohen Kosten verbunden, die sich nur reiche Unternehmer oder Jagdfunktionäre leisten können.

Aber Jagdkenntnisse müssen die Bürgerjäger doch wohl vorweisen?

Klar. Man braucht einen ordentlichen Jagdschein und bekommt strenge ökologische Vorgaben.

Offenbar setzen Sie ganz klar auf die Maxime „Wald vor Wild“.

Eigentlich müsste sie lauten: Wald vor Jagd! Denn Wildtiere gehören zum Wald und können ja nichts für ihre Bedürfnisse. Deswegen weigere ich mich auch, Hirsche und Rehe als Schädlinge zu bezeichnen. Schädlich ist das, was Jäger aus den Wildbeständen gemacht haben.

Im Jahr 2006 haben Sie mit dem damaligen Bürgermeister Rudolf Vitten einen Pakt geschlossen: Sie kündigen Ihre sichere Stelle als Forstbeamter, und er stellt Sie als Gemeindeförster ein und lässt Sie mit Ihren Ökoideen gewähren.

Sein Nachfolger macht zum Glück – und aus tiefer Einsicht – genauso weiter.

Trotzdem hatten Sie im Jahr 2009 Probleme mit Angst- und Panikattacken, litten unter Schlaflosigkeit. Die Diagnose: Burn-out. Was vor allem hat Ihre Kräfte derart aufgezehrt?

Die ständige Sorge, der ständige Kampf um den Wald. Und dadurch, dass ich meine Ansichten und Pläne ganz offengelegt habe, auch gegenüber den Medien, stand ich buchstäblich im Scheinwerferlicht, und so mancher hat darauf gewartet, dass ich Fehler mache. Das wiederum hat mich dazu angespornt, alles möglichst perfekt zu machen, möglichst ausgewogen. Es hat aber so nicht funktioniert, auch weil die lokale Jägerschaft unsere Pläne boykottiert hat. Und im Wald hört die Arbeit ja nie auf – nie! Ich habe alles versucht, aber irgendwann war ich mit den Kräften am Ende.

Was aus Ihrer zweijährigen Psychotherapie, die Sie durchliefen, haben Sie mitgenommen, was machen Sie heute anders?

Heute bin ich etwas gelassener und habe eingesehen, dass ich nur das tun kann, was in meinen Kräften steht.

Ihre Therapeutin kleidete das in den Satz: „Sie sind nicht Gott!“ Im zwischenmenschlichen Bereich brauche es für alles mindestens zwei Willige.

Allerdings. Und weil meine Kräfte begrenzt sind, gebe ich mich nun auch mit kleineren Erfolgen zufrieden und sehe zu, dass ich nicht das große Ganze aus dem Blick verliere, weder für mich persönlich noch für meine Familie.

Ein Akt der Befreiung. Und der aktuelle Bürgermeister Franz-Peter Schmitz freut sich bestimmt auch über die Erträge aus dem Wald.

Ja, die Einnahmen sprudeln weiter. Und es geht ja nicht nur um das Geld aus dem Holzverkauf. Ein Wald liefert viel mehr als Holz, auch betriebswirtschaftlich. Doch Forstwirtschaft heißt für viele Förster bis heute: Bäume absägen.

Sie hingegen veranstalten Überlebenskurse mit Käferlarvenrösten und Wurzelkaffee, außerdem Blockhaus- und Waldbauseminare. Sie lassen sich den Schutz alter Buchenbestände von Unternehmern sponsern. Und Sie betreiben in einem alten Buchenwald den Ruheforst. Wie wird diese Begräbnisstätte für kompostierbare Urnen angenommen?

Wir hatten mittlerweile schon über 3.000 Beisetzungen, weil es eine schöne Kombination aus Naturschutz und einem idyllischen Grab ist und keine Grabpflege erfordert. So ein Ruhebiotop am Baum kostet ab 500 Euro, abhängig von der Dicke des Baumes, der ja nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden kann.

Wie sollte der Hümmeler Wald aussehen, wenn Ihre Urenkel ihn einmal durchstreifen?

Wenn es dann noch nach mir ginge, wären das 15 Prozent Waldreservate aus Buchenwäldern, kombiniert mit 85 Prozent Laubwäldern, die so ökologisch genutzt werden, dass sie einem Urwald sehr nahekommen.

Sehen Sie sich eigentlich als Forstrebell?

„Rebell“, das klingt zu sehr nach Kampf. Am liebsten hab ich meine Ruhe und wäre einfach nur ein Waldhüter, der schön über seine Bäume guckt, wie ein Schäfer über seine Schäfchen. Aber so weit sind wir leider noch nicht.

Walter Schmidt, 49, ist freier Autor und Geograf

Lena Böhm, 35, lebt und arbeitet als Fotografin in Köln

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